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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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nun so, wie es sich für einen Oberleutnant gehörte. Als die Haustür ins Schloss fiel und seine Stimme sich auf der Straße entfernte, atmete Aletta auf.
    In den Augen von Anton Heussner stand plötzlich Schuldbewusstsein. »Verzeihen Sie! Ich tauge nicht zum Kavalier. Ich hätte Sie von diesem Schnösel befreien müssen.«
    Aber Aletta schüttelte lächelnd den Kopf. »Wollen wir jetzt in die Küche gehen? Ich könnte Ihnen Sanddorntee kochen.«
    Es duftete und dampfte in der Küche, das Licht war ein warmer Kreis auf der Tischplatte, der Schatten auf die Gesichter warf und nur das scharf umriss, was es bestrahlte. Vier Hände, ein Vertrag, zwei Tassen. Die Hände fuhren um den Vertrag herum, griffen nach ihm, legten ihn zurück, bogen die vier Ecken und fächerten die Seiten auf, nahmen dann hastig die Tasse auf und führten sie zum Mund.
    Aletta versuchte, Anton Heussners Gesicht zu erkennen, aber er hielt den Kopf gesenkt, seine Züge lagen im Schatten. »Ich kann nicht«, flüsterte sie. »Ich brauche noch Zeit.«
    »Viel Zeit ist nicht«, antwortete Heussner ebenso leise. »Wenn die Proben weiter fortschreiten, kann ich die Hauptrolle nicht mehr neu vergeben.«
    Singen! Eine große Bühne! Ein schwerer dunkelroter Samtvorhang, eine Garderobe mit einem riesigen Spiegel, eine flinke Garderobiere, eine talentierte Friseurin. Proben, gute Proben, ein fähiges Orchester ...
    Sie erschrak. »Was ist mit den Musikern?«
    Anton Heussner nickte betrübt. »Die meisten sind eingezogen. Unser Orchester ist nicht mehr das, was es zu Friedenszeiten war. Auch mit der Besetzung der männlichen Rollen hatte ich natürlich meine Schwierigkeiten ...«
    In diesem Augenblick pochte es an der Tür. Laut und herrisch! Und als Aletta und Heussner sich erschrocken anblickten, pochte es schon wieder. Noch lauter, noch diktatorischer.
    »Sind diese jungen Kerle etwa zurück?«, fragte Heussner und erhob sich, als wollte er sich nun endlich einmal als Kavalier erweisen, der eine schwache Frau beschützte.
    Aletta hörte, dass er die Tür öffnete, und eine Stimme, die fragte: »Wer sind Sie?«
    Diese Stimme war ihr fremd. Willem Schubert gehörte sie nicht.
    »Das geht Sie gar nichts an«, entgegnete Heussner. »Sagen Sie mir erst mal, wer Sie sind.«
    »Oberkommissar Henksen«, kam es zurück. »Ist Aletta Lornsen zu Hause?«
    Anscheinend hatte er Heussners Entgegnung nicht abgewartet, sondern ihn einfach zur Seite geschoben. Augenblicke später füllte die große Statur des Oberkommissars die Tür aus. Hinter ihm erschien der nicht minder große, aber wesentlich schlankere Kommissar Wachsmann. Heussner drängte sich an den beiden vorbei, so klein und unscheinbar, dass die beiden Polizisten ihn nur am Rande zur Kenntnis nahmen.
    »Frau Lornsen?« Henksen tat so, als müsse er sich bestätigenlassen, die Frau vor sich zu haben, die er suchte. In Wirklichkeit war er mit Aletta zur Schule gegangen und kannte sie von Kindesbeinen an.
    Aletta begriff, dass etwas auf sie zukam, etwas Förmliches, etwas, das sorgfältig von alten Erinnerungen abgetrennt werden musste. Deswegen verzichtete sie darauf, den Oberkommissar mit Vornamen anzusprechen. »Sie wünschen bitte?«
    Henksen griff in die Tasche seiner Polizeiuniform und holte etwas hervor, was Aletta einen kleinen Schrei entlockte. »Mein Seidenschal!«
    »Sie geben es also zu? Er gehört Ihnen?«
    »Zugeben?« Aletta sah Henksen fragend an. »Ich habe ihn verloren. Ich glaube sogar, dass er mir gestohlen wurde. Was sollte ich da zugeben?«
    »Er wurde heute Morgen bei einer Leiche gefunden«, erklärte Oberkommissar Henksen. »Hauptmann Kalkhoff ist in der vergangenen Nacht erschlagen worden. Und dieser Schal hatte sich in seiner Kleidung verfangen. Wir haben eine Weile gebraucht, um herauszufinden, wem er gehört. Solche Accessoires können sich anständige Sylter Frauen, die ihren Lebensunterhalt schwer verdienen müssen, nicht leisten.«
    Was Aletta als Erstes berührte, war der Vorwurf, dass sie nicht zu den anständigen Frauen gehörte. Das traf sie noch eher, noch unmittelbarer als der Verdacht, dass sie etwas mit dem Mord an Kalkhoff zu tun haben könnte.
    Henksen trat an den Tisch und griff nach dem Vertrag, den Heussner schnell an sich reißen wollte, was Kommissar Wachsmann jedoch verhinderte.
    Henksen blätterte den Vertrag kurz durch, dann sagte er: »Sie wollen sich absetzen? Nach Hamburg?«
    »Was für ein Unsinn!« Beinahe hätte Aletta gelacht, so absurd erschien ihr

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