Sturm über Sylt
andere mit Mobiliar, das aussah, als wäre es für einen Ausschank bestimmt, in der an langen Bänken und Tischen Bier gereicht werden sollte.
Der Kutscher des »Miramar« fuhr in der Regel andere Ziele an und schien an den makellosen schwarzen Lack der Kutsche und die Labilität der edlen Pferde zu denken. Vorsichtig lenkte er sie auf das Grundstück der Zimmerei und sorgte dafür, dass der Wagen direkt vor der Tür zum Stehen kam, auf der das Wort »Kontor« stand. Bevor er vom Bock steigen und den Damen aus der Kutsche helfen konnte, öffnete sich die Tür des Kontors und ein Junge sprang aus dem Haus, der zu den Pferden lief und nach den Zügeln griff, ehe der Kutscher es verhindern konnte.
Nun trat auch ein Mann aus dem Haus, Ende dreißig, groß und kräftig, mit kurzen, drahtigen Locken und hellen Augen, die von dichten Brauen überschattet wurden. Er steckte in weiten Arbeitshosen und trug dazu das gestreifte Hemd der Zimmerleute. Er stutzte, als er das Gespann des »Miramar« erkannte, und sah den Kutscher fragend an. Der stieg vom Bock, scheuchte den Jungen weg, öffnete, ohne etwas zu sagen, die Tür der Kutsche, die dem Zimmerer am nächsten war, und half Aletta heraus. Während er zur anderen Seite ging, hatte Insa ihre Tür schon selber geöffnet und wartete auch nicht darauf, dass der Kutscher ihr aus dem Wagen half.
»Hast du schon mal so pechschwarze Pferde gesehen, Vater?«, rief der Junge und griff aufgeregt nach dem Arm des Zimmermanns, der jedoch keinen Blick für ihn hatte. Mit einer unwilligen Bewegung schüttelte er den Jungen ab, der sofort begriff, was von ihm erwartet wurde, und sich trollte.
Der Zimmermann starrte Aletta ungläubig an. »Du?«
Aletta verstand es, den Hochmut einzusetzen, der ihr in anderen Fällen half, sich unliebsame Verehrer vom Hals zu halten. »Dirk Stobart, wenn ich nicht irre?« Sie machte deutlich, dass sie nicht die Absicht hatte, dem Zimmermann die Hand zu reichen. »Wie ich höre, sind Sie inzwischen Meister und haben den Betrieb Ihres Vaters übernommen?«
»So ist es«, stotterte Stobart. Dann fiel ihm ein, wie man sich zu benehmen hatte, wenn unerwartet hoher Besuch ins Hauskam. Er verbeugte sich steif und machte eine bedeutende Geste mit dem rechten Arm, die wohl weltmännisch wirken sollte. »Aletta Lornsen! Welche Ehre! In meinem bescheidenen Haus! Wie kann ich zu Diensten sein?«
Aletta zeigte auf die Tür. »Indem Sie mich und meine Schwester erst mal ins Haus lassen. Ich hoffe, dort ist es weniger lärmend und staubig.«
»Selbstverständlich!« Dirk Stobart wieselte ihnen voran, Aletta wartete, bis Insa an ihrer Seite war. Dann folgten die beiden ihm in einen Raum, der Dirk Stobart wohl als Besuchszimmer diente. Damit hatte er sich immerhin der neuen Zeit und der veränderten Klientel angepasst, denn noch vor ein paar Jahren hatte er mit seinen Kunden neben den Werkbänken verhandelt. In diesem Fall kam er sogar auf die Idee, den beiden Damen etwas zu trinken anzubieten.
»Sönke!«, schrie er durch die Tür, die in die Werkstatt führte. »Hol Zitronenwasser! Aber eisgekühlt!«
Aletta und Insa sahen sich in diesem Augenblick so ähnlich wie nie. Beide hockten sie auf den vorderen Kanten des Sessels, ohne sich anzulehnen, beide hatten sie Mienen aufgesetzt, die Dirk Stobart klarmachen mussten, dass auch ein eisgekühltes Zitronenwasser nichts daran änderte, dass dieses Gespräch rein geschäftlich ausfallen würde. Warum auch Insa dieser Eindruck wichtig war, konnte Aletta sich nicht erklären, sie selbst jedenfalls wusste genau, wie sie der geringsten plumpen Vertraulichkeit Dirk Stobarts begegnen würde.
»Wir sind gekommen, um einen Sarg für unsere Mutter auszusuchen«, sagte sie ohne Betonung, so wie Vera es ihr beigebracht hatte, als sie lernen musste, mit Pressevertretern umzugehen und die Öffentlichkeit auf Abstand zu halten.
»Wir erwarten«, ergänzte Insa, »dass sie heute Nachmittag abgeholt und eingesargt wird.«
Dirk Stobart fiel gerade noch rechtzeitig ein, was nun fällig war, er sprang auf, verbeugte sich tief und stotterte hervor, wiesehr er das Ableben Witta Lornsens bedaure und dass er mit ihren Töchtern fühle.
Aletta dankte mit einem kurzen Nicken und stellte fest, dass Insa es genauso hielt. Emotionslos zählte sie auf, was sie erwartete: »Unsere Mutter soll bei ihrer Beerdigung ein weißes Kleid tragen und auf einem weißen Satinkissen liegen. Die Decke ...« Sie wandte sich an Insa und stellte fest, dass ihre
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