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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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Mann, der ihr einen Platz in der Gesellschaft anbot. Eine Frau ohne Mann war mittellos, im Alter oft auf die Gnade von Verwandten angewiesen, die ihr ein Dach über dem Kopf boten und denen sie dafür im Haushalt ober bei der Versorgung der Kinder zur Hand ging. Noch war Insa zwar unabhängig, da sie durch das Vermieten von Zimmern an Feriengäste Einkünftehatte, aber ihre Eltern hatten natürlich voller Sorge in die Zukunft geschaut. Was sollte aus Insa werden, wenn sie alt war – ohne Familie, ohne Mann, ohne Kinder? Zwar lebten die Frauen auf Sylt ein viel selbständigeres Leben als in vielen anderen Landstrichen, weil sie es gewöhnt waren, allein die Familie durchzubringen und den Hausstand zu erhalten, wenn die Männer auf See waren, dennoch gab es keine Frau, die freiwillig auf eine Heirat verzichtete. Eine Frau galt nur an der Seite eines Mannes etwas!
    Nun war Insa schon dreiundvierzig Jahre alt und hatte nie die Liebe eines Mannes genießen dürfen! Mitleid für ihre Schwester erfüllte Alettas Herz, als sie sich langsam auf den Weg zur Friedhofspforte machte. Aber nicht lange, dann war auch wieder der Zorn da, den sie sich als größeres Mädchen zu eigen gemacht hatte, wenn ihre ältere Schwester sie zurückwies. Zorn war leichter zu ertragen als Verzweiflung. Und er loderte, als sie Insa in der Kutsche sitzen sah, den Blick abgewandt, steif und unnahbar. Sie erwartete, dass ihre Schwester sich beeilte, aber Aletta nutzte diese kleine Vergeltung, um die Macht über Insa auszukosten, die sie früher nicht gehabt hatte.
    Als Alettas Blick auf den Eingang der Sakristei fiel, blieb sie noch einmal stehen. Ob Pfarrer Frerich zu seiner Gewohnheit zurückgekehrt war, den Schlüssel unter dem Blumentopf zu verstecken? Nachdem die Kollekte ein zweites und drittes Mal gestohlen worden war, hatte er ihn stets bei sich getragen. Auch in den Häusern ringsum war es daraufhin zur Gewohnheit geworden, die Türen abzuschließen, wenn niemand daheim war. Diebstähle hatte es vorher nicht gegeben. Erst nachdem das Findelkind in der Sakristei gefunden worden war, hatte es damit angefangen. Prompt war die Mutter des Säuglings in Verdacht geraten. Wahrscheinlich ein bitterarmes junges Ding, das irgendwo als Magd gearbeitet hatte und von seinem Herrn geschwängert worden war. Solche Schicksale gab es zu Pfarrer Frerichs Leidwesen viel zu häufig. Für diese Mädchen war es dann schwierig, eineneue Arbeitsstelle zu finden, die ihnen ihr Auskommen sicherte. Anscheinend hatte die Mutter des kleinen Sönke, nachdem sie ihren Sohn in der Sakristei abgelegt hatte, gemerkt, wie einfach es sein konnte, an Geld zu kommen, wenn man einmal alle Bedenken über Bord geworfen hatte. Der Pfarrer hatte sich schwere Vorwürfe gemacht, weil er fürchtete, dass sein vertrauensvoller Umgang mit dem Sakristeischlüssel und der Kollekte diese junge Frau auf den Weg der Sünde geführt hatte.
    Auf Sylt wurde lange nach einer Frau gesucht, die schwanger gewesen war, aber ohne ein Neugeborenes irgendwo lebte. Sogar die Hütten in den Dünen zwischen Westerland und Wenningstedt waren durchsucht worden, in denen früher die Strandräuber gehaust hatten, aber nirgendwo waren die Sittenwächter auf eine Frau gestoßen, die als Diebin in Frage kam. Und schließlich war der Verdacht laut geworden, es könne sich um eine Fremde handeln, die sich als Feriengast tarnte, aber in Wirklichkeit auf die Insel gekommen war, um heimlich ihr Kind zur Welt zu bringen. Und dann musste sie womöglich das Geld zusammenstehlen, um ihre Unterkunft bezahlen und in ihr Leben auf dem Festland zurückkehren zu können, wo sie vielleicht als unbescholtene Frau galt.
    Diese Erklärung war zwar nicht stichhaltig, weil die Diebstähle auch nach Jahren noch nicht aufgehört hatten, aber trotzdem setzte sich diese Meinung durch, und allein reisende Frauen, von denen es nur wenige gab, wurden von der Sylter Bevölkerung mit Argwohn betrachtet.
    Aletta wollte nicht zu dem Grab der Familie Mügge schauen, sie hatte sich fest vorgenommen, über den hohen Grabstein hinwegzusehen. Aber dann wurde ihr Blick doch magisch angezogen. Vorsichtig machte sie ein paar Schritte auf den Beginn der Gräberreihe zu, in dem die Familiengruft der Mügges lag. Weiter ging sie jedoch nicht. Nein, sie wollte sich nicht erinnern, wie das offene Grab in jener Nacht ausgesehen hatte, bevor der alte Mügge beerdigt worden war. Damals hatte sie sich redlichgeweigert, dieser Beisetzung beizuwohnen, aber die

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