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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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Schwester sich in dieser zur Schau getragenen Herablassung wohlzufühlen schien. »Was hältst du von weißer Spitze mit Leinenbändern?«
    Nun veränderte sich Insas Gesichtsausdruck plötzlich. Sie schluckte und schien etwas sagen zu wollen, was die Größenverhältnisse des Augenblicks verschoben hätte. Deswegen nahm Aletta ihr das Wort ab: »Die Preise spielen keine Rolle«, sagte sie zu Dirk Stobart. »Die Rechnung geht an mich.«
    In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und ein auffallend hübscher junger Mann trat ein, mit einem sanften Gesicht, das von hellgrauen Augen dominiert wurde. Der Kontrast zwischen ihnen, seiner braunen Haut und den dunklen Haaren machte sein Gesicht außergewöhnlich. Er trug ein Tablett in den Raum, auf dem eine Karaffe und drei Gläser standen. Höflich grüßte er und setzte das Tablett auf dem kleinen Tisch ab, der auf wackeligen Beinen stand. Auch er trug weite Arbeitshosen und ein gestreiftes grobes Hemd. Seine Kleidung und auch seine kurzen dunklen Haare waren voller Staub, aber die Hände hatte er sich gewaschen, ehe er den Auftrag seines Chefs ausführte.
    »Danke«, sagte Stobart und verteilte eigenhändig die Gläser. »Du kannst wieder in die Werkstatt gehen.«
    Der junge Mann verließ den Raum so ruhig, wie er ihn betreten hatte. Nichts deutete darauf hin, dass ihn die Anwesenheit der beiden Damen, von denen eine sogar eine bekannte Sängerin war, durcheinandergebracht hätte. Jede von ihnen hatte er angelächelt, und als er ging, lag noch immer das Lächeln auf seinem Gesicht, das ihn sympathisch, wenn auch ein wenig einfältig erscheinen ließ.
    Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, fragte Aletta: »Das war Sönke?«
    Dirk Stobart starrte auf seine Hände, als wage er nicht, Aletta anzusehen, während er antwortete: »Er arbeitet schon seit vier Jahren bei mir. Ich bin sehr zufrieden mit ihm.«
    »Der Pfarrer sprach davon«, erwähnte Aletta und sah zu, wie Dirk das Zitronenwasser eingoss. Obwohl seine Hände sauber waren und für einen Handwerker sogar einigermaßen gepflegt, hätte Aletta sich schütteln können vor Ekel, als sie an den Geruch dachte, der diesen Händen angehaftet hatte.
    »Das ist ja interessant!«, flüsterte es an ihrem Ohr. »Die jüngste Lornsen klaut die Kollekte. Wer hätte das gedacht!«
    Aletta zitterte am ganzen Körper, wagte nicht, sich zu rühren und versuchte, so flach wie möglich zu atmen, um den widerlichen Geruch nicht in sich aufnehmen zu müssen.
    »Was soll ich mit dir machen?«
    Nun hatte sie die Stimme erkannt. Dirk Stobart, der Sohn des Zimmermanns in der Steinmannstraße! Was machte er in der Nacht auf dem Friedhof?
    Und plötzlich hörte sie, dass sie mit Dirk Stobart nicht allein war. Schritte knirschten auf dem Kies, entfernten sich leise. Jemand trat so vorsichtig auf, als wollte er nicht gehört werden. Sie merkte auch, dass sich etwas in Dirk Stobarts Körperhaltung veränderte, es war, als wäre er ablenkt. Sie spürte seine Kopfbewegung, anscheinend gab er jemandem einen Wink, und die Hand über ihrem Mund lockerte sich für Augenblicke.
    Diesen winzigen Moment nutzte Aletta. Mit der gleichen Kraft, mit der sie sich vor seiner Hand ekelte, nahm sie ihren Mut zusammen und biss zu. Dirk Stobart jaulte auf und ließ von ihr ab, hatte sich jedoch schnell wieder gefangen. Während Aletta noch versuchte, den Zaun zu überwinden, war er schon wieder bei ihr und riss sie zurück. Diesmal griff er nach ihren Armen und drehte sie ihr auf den Rücken.
    »Das wirst du mir büßen, du kleine Hexe! Und ich weiß auch schon, wie ...«
    Sie begriff, dass Dirk Stobart sie von dem Augenblick an beobachtet hatte, in dem sie über den Zaun geklettert war. »Möchtest du, dass morgen ganz Westerland weiß, was du getan hast?«
    Aletta schwieg. Diese Frage bedurfte keiner Antwort.
    »Aber ich bin eventuell bereit, darüber zu schweigen«, sagte Dirk Stobart und grinste unangenehm. »Vorausgesetzt, du tust mir auch einen Gefallen.«
    Sie musste Ja und Amen sagen zu allem, was er forderte. Es blieb ihr nichts anderes übrig. Dass sie jahrelang in seiner Hand sein würde, ahnte sie in diesem Augenblick noch nicht. Erst recht ahnte sie nicht, dass sie ihn genauso in der Hand hatte wie er sie. Aber Aletta war erst zehn Jahre alt. Warum Dirk Stobart sich nachts auf dem Friedhof aufhielt, durchschaute sie erst Jahre später.
    Sie standen vor dem Grab ihres Vaters. Ein sanfter Wind ging, der die Kraft der Sonne in seinem Rhythmus

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