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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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veränderte. Sie brannte sommerlich-heiß, wenn er sich entfernte oder ruhte, und sie war kaum noch zu spüren, wenn er kräftig heranwehte. Zwischendurch tat der Wind gut, wenn die Sonne gerade so heiß war, dass Aletta bereute, ihren Sonnenschirm nicht mitgenommen zu haben, und gerade in dem Augenblick auf der Haut zu spüren war, wenn ihr ganz undamenhaft der Schweiß auszubrechen drohte. In Wien gab es diesen Wechsel nicht. Dort hätte sie keinen Schritt in die Sonne gemacht und auf keinen Fall ihren Sonnenschirm vergessen.
    Sie hatte darauf bestanden, einen Besuch auf dem Friedhof zu machen, nachdem sie die Zimmerei Stobart verlassen hatten, und Insa hatte sich, wenn auch widerstrebend, gefügt. »Eigentlich muss ich mich um die Gästezimmer kümmern.«
    Aber Aletta hatte nur abgewinkt. »Der Tag ist noch lang.«
    Nun blickten sie auf den Grabstein hinab, der den NamenGeert Lornsens trug, auf das Efeu, das ihn umrankte, und die dürre Buchsbaumhecke, die das Grab einfasste.
    »Was wollte Mutter mir noch sagen?«, fragte Aletta leise. »Und warum wollte Vater es verhindern?«
    Insa zeigte nicht einmal, ob sie die Frage überhaupt gehört hatte. Sie stand regungslos da und antwortete nicht.
    Aletta spürte, dass ihr die Tränen kamen. Sie griff nach der Hand ihrer Schwester. »Ich hatte mir meine Rückkehr nach Sylt ganz anders vorgestellt.«
    Insa schien für einen Moment zu erstarren, dann entzog sie Aletta so vorsichtig die Hand, als sollte sie es nicht merken. »Du wolltest uns zeigen, was aus dir geworden ist?«, fragte sie leise. Dann wurde ihre Stimme höhnisch und verächtlich zugleich, und das derart unvermittelt, das Aletta sie erschrocken ansah. »Wir sollten uns klein vorkommen«, fuhr Insa fort, »wenn du mit deinen schönen Kleidern und deinem reichen Freund hier erscheinst! Applaus für Aletta Lornsen! Daran bist du wohl gewöhnt?«
    Nun weinte Aletta wirklich. »Ihr solltet einsehen, dass ich Sängerin werden musste. Dass es falsch war, mir das zu verwehren. Und dass ich weggehen musste!«
    Insa drehte sich ohne ein Wort um und ging den Weg zurück.
    »Du hättest mich verständigen müssen, als Vater starb«, rief Aletta ihr nach.
    Aber Insa reagierte nicht. Unbeirrt ging sie weiter, an der Tür der Sakristei vorbei, um die Kirche herum, auf die Kutsche des »Miramar« zu, die vor dem Eingang wartete.
    Da war sie wieder, diese Kälte, die Aletta immer entgegengeschlagen war, wenn sie versucht hatte, sich Insa zu nähern. Schon als sie noch ein kleines Kind war, hatte Insa ihr die Hand entzogen, hatte sie von sich geschoben, hatte mit einer verächtlichen Bemerkung den Abstand zwischen ihnen vergrößert. Immer wieder aufs Neue! Trotzdem hatte Aletta Tag für Tag versucht, dem Herzen ihrer Schwester näherzukommen. Abergenauso oft war sie abgewiesen worden. Insas Ablehnung tat heute noch genauso weh wie früher. Und so, wie sie als Kind aus dem Haus gelaufen war oder sich in ihre Kammer zurückgezogen hatte, um zu warten, dass der Schmerz über die Zurückweisung von ihr abfiel, brauchte sie auch jetzt Zeit, um sich damit abzufinden, dass sich nichts geändert hatte.
    Sie beeilte sich nicht, Insa zu folgen, sondern betrachtete die Gräber in der näheren Umgebung, las vertraute Namen, erschrak, als sie den einer Klassenkameradin entdeckte, und blieb noch eine Weile stehen, als sie sich vom Grab ihres Vaters abgewandt hatte.
    Was mochte mit Insa geschehen sein? Was hatte zu dieser Verbitterung geführt? Eine unglückliche Liebe? Ein Mann, der ihr so wehgetan hatte, dass sie diesen Schmerz weitergeben wollte, um ihn loszuwerden? Aletta konnte sich nicht erinnern, dass es jemals einen Mann in Insas Leben gegeben hatte. Aber sie war fünfzehn Jahre jünger als ihre Schwester. Wenn Insa je unter Liebeskummer gelitten hatte, war deren Trauer in Alettas Leben womöglich nicht eingedrungen. Es war oft darüber gesprochen worden, dass es für Insa Zeit wurde, zu heiraten, aber sie hatte immer den Kopf geschüttelt, wenn ihre Eltern mahnend die Stimmen erhoben hatten. Nein, sie wolle nicht heiraten, es gebe keinen Mann, dem sie vertrauen könne, und an Kindern sei sie nicht interessiert. Aletta konnte sich gut an die bedeutungsvollen Blicke erinnern, die sich ihre Eltern dann zugeworfen hatten, aber als Insa auf die dreißig zugegangen war, hatten sie aufgehört, sie zu bedrängen. Eine unverheiratete Tochter war eine Strafe für jedes Elternpaar, eine Frau wurde doch erst eine Persönlichkeit durch den

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