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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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Mutter hatte sie gezwungen, neben ihr ans offene Grab zu treten und Blumen auf den Sarg fallen zu lassen. Zwei der fast verblühten Rosen waren neben den Sarg gefallen, so, als wollte eine höhere Macht dafür sorgen, dass auch der andere Tote diese Form der Ehrerbietung bekam. Als sie in Tränen ausgebrochen war, hatte jedermann sich gewundert. Die Mutter hatte sie auf dem Heimweg sogar gefragt, ob sie den alten Mügge sehr gern gehabt habe. Und Aletta hatte tapfer genickt. Dass sie um den anderen Toten in diesem Grab geweint hatte, durfte niemand erfahren.
    In diesem Moment fächerte wieder ein leiser Wind die Bäume auf. Aletta schloss kurz die Augen und hielt ihm ihr Gesicht hin. Danach fühlte sie sich besser, stärker, wieder sicher und beinahe frei von Schuld. Sie würde es tatsächlich sein, wenn sie alles zurückgezahlt hatte, so, wie sie es Pfarrer Frerich kurz vor ihrer Flucht von Sylt versprochen hatte. Ludwig hatte keine Ahnung von dem großen Geldbetrag, den sie mit sich führte, zwischen ihren Blusen und Hemden versteckt. Natürlich vertraute sie ihm, niemandem so sehr wie ihm, aber was sie getan hatte, sollte auch er nicht erfahren. Genauso wenig, wie er von dem Toten in der Gruft der Mügges wissen sollte.
    Sie saßen auf der Terrasse des »Miramar«, hatten sich das Frühstück dort servieren lassen, und Hoteldirektor Busse hatte dafür gesorgt, dass für Aletta ein Strandkorb an den Tisch gerückt wurde, der sie vor Wind und Sonne und auch vor neugierigen Blicken schützte. Er war dicht an das Geländer gestellt worden, auf dem senkrechte Streben standen, die es mit den hölzernen Balkons in der ersten Etage verbanden. Nah an der Strandmauer standen Liegestühle, wo diejenigen Platz genommen hatten, die den Blick auf die Plattform und die dort flanierenden Sommerfrischler genießen wollten. Weit genug von Aletta und Ludwig entfernt.
    Der Himmel war von einem strahlenden Blau, fast wolkenlos,wenn man einmal von den dünnen streifenförmigen Wolkenschleiern absah, die über der Insel standen, als wollten sie das Makellose erträglicher machen. Das Meer war ruhig, die Brandung nur schwach, sie trug keine Gischt mit sich, schwappte nur müde an den Strand. Dort herrschte bereits viel Trubel. Fast jeder Strandkorb war besetzt, in der Regel von einem Elternpaar, das seinen Kindern zusah, wie sie sich in der Sandburg vergnügten, von der jeder Strandkorb umgeben war, oder mit ihren Schaufeln am Wasserrand Gräben und Kanäle anlegten. Gelächter drang bis zur Terrasse des »Miramar« hoch, helle Rufe oder dröhnende männliche Stimmen, die den Nachwuchs zur Ordnung riefen. Die kleinen Mädchen trugen weiße oder dunkelblaue Matrosenkleider, dazu breitkrempige Hüte, waren aber barfuß, damit sie im seichten Wasser herumspielen konnten. Auch die Jungen waren durchweg praktisch gekleidet. Sie steckten in knielangen Hosen, weiten Hemden und trugen Schirmmützen auf dem Kopf! Auf Schuhe durften auch sie verzichten.
    Die Erwachsenen hatten es jedoch mit der Bequemlichkeit nicht so weit getrieben. Die Damen trugen auch am Strand ihre hellen Kleider mit den langen, weiten Röcken über eng geschnürten Korsetts, dazu große Strohhüte, die Gesicht und Haare vor Sonne und Sand schützen sollten. Viele hatten, so wie ihre männlichen Begleiter, schlanke Spazierstöcke bei sich, die dabei halfen, attraktive Posen im Strandkorb einzunehmen. Die meisten entschieden sich dafür, den Stock quer über den Schoß zu legen oder ihn diagonal vor den Oberkörper zu halten und ihn zu handhaben wie ein zierliches Instrument.
    Ludwig ließ stirnrunzelnd den Blick über den Strand wandern und schüttelte den Kopf, als er sah, dass ein junger Vater mit seinem kleinen Sohn einen Ball fangen wollte, der drauf und dran war, ins Wasser zu rollen. »Die Leute benehmen sich, als hätten sie einen Anspruch auf Frieden«, sagte er ärgerlich.
    Aletta biss von ihrem Weißbrot ab und zuckte die Schultern. »Haben wir das nicht auch? Es dürfte keine Kriege geben.«
    Ludwig betrachtete sie stirnrunzelnd. »Es wird Zeit, dass du dich an den Gedanken gewöhnst, dass der Krieg unausweichlich ist.«
    Aber Aletta wollte davon nichts hören. »Verdirb uns den Urlaub nicht.«
    »Urlaub!« Ludwig warf das Wort von sich, als wollte er es Aletta vor die Füße schleudern. »Du denkst an Urlaub, und da draußen wird für den Krieg gerüstet.« Er machte eine Handbewegung Richtung Festland, als lauerte außerhalb von Sylt die Gefahr. »Wenn es nach

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