Sturm über Sylt
»Sehr viele Sylter leben mittlerweile vom Fremdenverkehr. Im Krieg werden die Gäste ausbleiben. Die Hotels werden leer stehen. Und was soll aus den vielen Zimmermädchen und Hausdienern werden, die auf Sylt Arbeit gefunden haben?«
Aletta schämte sich, dass sie an diese Konsequenz bisher nicht gedacht hatte. Es war, als fiele Jorits Schicksal von der Decke des Raums in ihren Schoß. Hastig griff sie danach und hielt es fest, als wäre sie mit seinem Schicksal in ihren Händen zu Jorit gekommen. »Ich glaube nicht, dass Männer, die einen Betrieb führen, eingezogen werden.«
Jorit lachte freudlos. »Ich führe den Betrieb mit meiner Schwester zusammen.«
»Mit Emme?«
»Nein, mit Beeke. Emme ist mit Dirk Stobart verheiratet, Beeke dagegen ist ledig geblieben.« Er zog spöttisch lächelnd die Mundwinkel herab. »Jeder kann ein Hotel allein führen, in dem es keine Gäste mehr gibt. Das Hotel braucht mich nicht.«
Aletta sah Jorit erschrocken an. »Was sagst du? Emme und Dirk Stobart? Ist sie glücklich mit ihm?«
Jorit zuckte die Schultern. »Warum fragst du?«
Darauf wusste Aletta nichts zu sagen, aber zum Glück wartete Jorit nicht auf eine Antwort. »Emme hat einen Sohn, der ist ihr ganzes Glück«, wich er aus. »Zwar hätte sie gerne noch weitere Kinder gehabt, aber ...« Wieder hob er die Schultern und ließ sie hilflos wieder sinken. »Manchmal will das Schicksal es eben anders.«
Aletta, die auf keinen Fall über Dirk Stobart reden wollte, nickte, als hätte sie eine einleuchtende Erklärung erhalten. Sie war enttäuscht, dass er nichts sagte, was ihr die Angst vor der Zukunft nehmen konnte. Einen kleinen Hoffnungsfunken, dass Ludwig sich getäuscht haben könnte, gab es immer noch in ihr, das merkte sie jetzt. »Aber du glaubst auch, dass der Krieg nicht lange dauern wird?«
Jorit zuckte die Achseln. Dazu wollte er nichts sagen. Stattdessen meinte er: »Du hast dich nie mit deiner Schwester verstanden. Immer hast du dich von ihr abgelehnt gefühlt. Kann es da richtig sein, dass du zu ihr ziehst?«
»Wo soll ich sonst hin? Ich kann nicht monatelang im Hotel wohnen.«
»Du könntest hier einziehen. Ins Hotel Lauritzen! Im Moment ist zwar kein Zimmer frei, aber später ...«
Aletta unterbrach ihn mit einer kleinen Geste. »Danke, Jorit. Aber ich gehöre in das Haus meiner Eltern.«
Ein Dienstmädchen in einem schwarzen langen Rock, einerhellen Bluse und einer grauen Schürze erschien vor Jorit und knickste. »Herr und Frau Ringling möchten vom Strand abgeholt werden.«
Jorit nickte. »Sag meiner Schwester Bescheid. Sie soll den Hausdiener mit dem Leiterwagen losschicken.«
Das Mädchen knickste noch einmal und lief davon.
Jorit wandte sich wieder an Aletta. »Für Beeke ist das Hotel zum Lebensinhalt geworden.«
Aletta erinnerte sich, dass Beeke Lauritzen mit einem Matrosen verlobt gewesen war, als sie Sylt verließ. »Ist aus ihrer Hochzeit nichts geworden?«
»Knut ist auf See geblieben. Danach hat Beeke keinen Mann mehr angesehen. Sie will nicht heiraten.«
»So wie Insa«, murmelte Aletta nachdenklich. »Hast du meine Schwester jemals mit einem Mann gesehen? Oder hast du jemanden darüber reden hören, dass sie unglücklich verliebt war?«
Jorit schüttelte den Kopf. »Wenn von Insa Lornsen die Rede ist, dann heißt es nur: Die will keinen.«
Aletta stand auf, um sich zu verabschieden. »Und du? Warum hast du nicht geheiratet?« Sie lachte kokett. »Sag nicht, dass du auf meine Rückkehr gewartet hast.«
Jorit hatte sich ebenfalls erhoben und sah Aletta lange nachdenklich an. »Als mir klar wurde, dass du ohne mich gegangen warst, wusste ich, dass ich dich verloren hatte. Die Musik, der Gesang, die Welt, die du durch Vera Etzold kennengelernt hast ... dagegen war meine Liebe klein und belanglos.«
Aletta wehrte erschrocken ab. »Nein, das war sie nicht, nur ...« Sie merkte, dass es keine Erklärung gab, mit der sie sich hätte entschuldigen, rechtfertigen oder Jorit begütigen können. Deshalb sagte sie nur: »Ich bin sehr froh, dass du mir verzeihen konntest.«
»Hoffnungen, dass du zu mir zurückkommen könntest, habe ich mir zu keinem Augenblick gemacht. Erst recht nicht, als ichvon deinen Erfolgen hörte. Große Rollen in großen Theatern! In jeder Zeitung dein Name, dein Bild!«
»Und warum hast du nicht geheiratet?«, wiederholte Aletta.
»Ich habe eine Frau«, antwortete Jorit mit einer Stimme, die Aletta noch nie gehört hatte. Melancholisch, ausdruckslos, müde. »Sie
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