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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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nicht mehr schwer. Und dass sie von einem Toten in der Familiengruft der Mügges wusste, musste sie nicht beichten. An dessen Tod war sie nicht schuld.
    Nun klopfte sie und trat ein, als sie hörte, dass der Pfarrer »Herein!« rief. Er saß am Schreibtisch und schien die Predigt für den nächsten Sonntag vorzubereiten. Er lächelte, als er sie erkannte, und rief wie bei ihrer Rückkehr, als sie ihn in der Küche ihres Elternhauses wiedersah: »Aletta, mein Kind!«
    Fürsorglich geleitete er sie zu einem Stuhl, ließ sie Platz nehmen und setzte sich dann selber wieder. »Was führt dich zu mir?«
    Aletta schob das Paket über die Schreibtischplatte. »Ich bin gekommen, um Wiedergutmachung zu leisten. Ich habe es Ihnen vor zehn Jahren versprochen. An dem Tag, bevor ich ging.«
    »Du hast das Geld zurückgebracht, das du gestohlen hast?«, fragte der Pfarrer ungläubig.
    Aletta nickte. »Mit Zins- und Zinseszinsen. Verteilen Sie es bitte so, wie Sie es für richtig halten, Hochwürden.«
    Er nickte, betrachtete das Paket eine Weile, dann schob er es ungeöffnet beiseite. »Ich habe gehört, dass Ludwig Burger die Insel verlassen hat.«
    Aletta antwortete nicht, weil sie fürchtete, dass die Tränen ihre Stimme ersticken könnten.
    »Überleg dir, ob du wirklich zu Insa ziehen willst.«
    »Es ist auch mein Elternhaus. Es gehört mir zur Hälfte.«
    Pfarrer Frerich wiegte den Kopf und sah Aletta zweifelnd an. »Zwischen euch, das war immer ...« Er suchte nach Worten, und Aletta nahm es ihm ab, den Satz zu vervollständigen.
    »Kalt! Wollten Sie das sagen? Ja, zwischen Insa und mir herrschte immer Kälte. Ich weiß nicht, warum.«
    »Und trotzdem willst du zu ihr ziehen?«
    Aletta nickte entschlossen. »Ich habe es Ludwig versprochen. Außerdem wird der Krieg nicht lange dauern.«
    Dieser Ansicht schien der Pfarrer nicht zu sein. Trotzdem bestätigte er Alettas Worte: »Sylt ist deine Heimat. Es ist richtig, dass du hierbleibst. Auf der Insel hast du Freunde und Bekannte.«
    Hatte sie das wirklich? Aletta dachte nach, aber außer Jorit fiel ihr niemand ein. Ja, sie hatte als Kind ein paar Freundinnen gehabt, aber davon lag eine schon auf dem Friedhof, die andere hatte aufs Festland geheiratet und die dritte nach List. Gemeinsame Kinderspiele hatte es früher sowieso nur selten gegeben. Mädchen mussten schon früh im Haushalt helfen, in den Pensionen ihrer Eltern oder in der Landwirtschaft. Bei den Lornsens war es zwar Insa gewesen, die der Mutter im Haus zur Handging, aber das Nesthäkchen hätte sicherlich ebenfalls schon früh seine Pflichten zugeteilt bekommen, wenn es nicht als Dienstmädchen von Vera Etzold zum Familieneinkommen beigetragen hätte. Zweimal in der Woche war sie zum Gesangsunterricht gegangen, hatte aber der Mutter erzählt, sie gehe dreimal pro Woche ins »Miramar«, um Vera Etzold zu Diensten zu sein. An dem jeweils dritten Nachmittag war sie in die Dünen gegangen, hatte sich in die Sonne gelegt oder Koloraturen geübt, obwohl Vera Etzold gesagt hatte, an diese komplizierte Gesangsform dürfe sie sich erst später wagen.
    Aletta erschrak. Hatte sie diese Lüge eigentlich gebeichtet? Aber sie schüttelte die Frage gleich wieder ab und erhob sich. »Es tut mir wirklich leid, dass ich Sie bestohlen habe, Hochwürden«, sagte sie ehrlich. »Aber es war für mich die einzige Möglichkeit, Sängerin zu werden. Meine Eltern hätten es nie zugelassen. Vera Etzold hat immer gesagt: Du musst sie zwingen. Und ich weiß, dass sie recht hatte.«
    Der Pfarrer stand ebenfalls auf. Er sah jetzt ernst und vorwurfsvoll aus. »Was wäre gewesen, wenn ich Sönkes Mutter gefunden hätte? Sie wäre angeklagt worden. Ganz Westerland war der Ansicht, dass sie die Diebin ist.«
    Aletta zuckte die Achseln. Es wäre leicht gewesen zu sagen, dass sie dann selbstverständlich die Wahrheit bekannt hätte. Aber sie war nicht sicher, ob sie es wirklich geschafft hätte. Sie konnte nicht ausschließen, dass sie zugesehen hätte, wie eine andere für ihr Vergehen bestraft wurde. »Ich war noch sehr jung«, wich sie aus.
    »Alt genug, um zu wissen, was du tust.«
    Aletta starrte auf den Saum ihres Rockes. Der Pfarrer hatte recht. Sie konnte sich nicht auf ihre Jugend berufen, nur darauf, dass sie für ihr Ziel, Sängerin zu werden, alles getan hätte. Und sie war immer der Meinung gewesen, dass nicht sie diese Schuld auf sich lud, sondern dass sie ihren Eltern aufgebürdet werden musste, die ihr Talent nicht hatten würdigen

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