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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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»Weiß Reik Martensen davon?«
    Aletta schüttelte den Kopf, sicher, dass Jorit es sehen konnte.
    »Willst du mit Insa darüber reden?«
    Sie machte eine erschrockene Bewegung. »Auf keinen Fall! Sie würde alles bestreiten. Und sie würde mir vorwerfen, auf dem Speicher herumgeschnüffelt zu haben.«
    »Aber du hast ein Recht auf die Wahrheit.«
    »Das wird Insa anders sehen. Sie wurde damals gezwungen, ihr eigenes Glück einzutauschen gegen das unserer Mutter. Mein Vater war bereit, Mutter ihren Fehltritt zu verzeihen, aber seine Bedingung war sicherlich, dass niemand davon erfahren durfte. Ein Mann, der bereit ist, das Balg eines anderen großzuziehen? Der seiner Frau einen schweren Ehebruch verzeiht? Man hätte über ihn gelacht. Ein Schwächling wäre er genannt worden.«
    »Vielleicht wollte er dich auch mit seinem Schweigen schützen.« Jorit war nun sehr nachdenklich geworden. »Also musste deine Mutter gar nicht in Hamburg bleiben, weil es Schwierigkeiten mit der Schwangerschaft gab? Sie ist so lange in Hamburg geblieben, bis sie sicher war, dass Insa sich von Reik gelöst hatte.«
    So weit hatte Aletta noch nicht gedacht. »Du meinst, sie hat in Hamburg gewartet, bis Reik und seine Familie Sylt verlassen hatten?«
    Jorit wurde nun sehr aufgeregt. »Sie hat Reiks Vater die Verpflichtung auferlegt, aus ihrem Leben zu verschwinden! Und der hat sich daran gehalten.«
    Jorit wollte weitersprechen, stockte aber plötzlich und gab Aletta ein Zeichen, zu schweigen. Er stand auf, machte einen Schritt zur Tür und legte sein Ohr daran. »Da ist jemand im Garten«, zischte er.
    Aletta erhob sich lautlos und ging zu ihm. »Kannst du was sehen?«, fragte sie wispernd.
    Sie spürte, dass Jorit die Schultern zuckte, und hielt den Atem an, als er vorsichtig versuchte, die Tür aufzudrücken. Sie quietschte leise, er zuckte zurück, wartete und versuchte es dann erneut. Schließlich war der Spalt breit genug.
    Aletta reckte den Hals, so dass sie ihm über die Schulter blicken konnte. Am Rande des Küchengartens sah sie zwei Frauen, Insa und Frauke Lützen. Sie redeten leise miteinander und blickten sich gelegentlich um. Anscheinend fürchteten sie, gesehen oder belauscht zu werden.
    Aletta starrte die beiden an, als wollte sie Insa zwingen, Frauke ein lautes, lachendes Wort zuzuwerfen, damit sie nicht mehr glauben musste, was sie sah. Schon einmal hatte sie die beiden beobachtet, und auch da schienen sie nicht gesehen und gehört werden zu wollen. Was verband ihre Schwester mit der Engelmacherin? Welches Geheimnis umgab sie?
    Dann kam erneut ein Geräusch vom Nachbarhaus herüber. Diesmal war es Robert Fritz, der vom gleichen Wunsch nach draußen getrieben worden war wie die beiden anderen Soldaten kurz vorher. Aber er schritt, wie es sich gehörte, zu dem Holzhäuschen mit dem geschnitzten Herzen und verschwand darin.
    Insa und Frauke Lützen waren erschrocken zusammengefahren und hatten sich blitzschnell hinter den Johannisbeerbüschen geduckt. Erst, als sich die Tür hinter Leutnant Fritz geschlossen hatte, zeigten sich ihre Köpfe wieder. Erneut tuschelten sie miteinander, dann verließ Frauke Lützen das Grundstück in RichtungStephanstraße. Aletta sah, dass sie an der Hausecke stehen blieb und sich sichernd umsah. Die Luft schien rein zu sein, kein Passant auf der Stephanstraße! Frauke Lützen verschwand, und Insa ging durch die Küchentür ins Haus zurück.
    Die Nacht, in der Kai Stobart sein Leben ließ, war schwarz, kalt und stürmisch gewesen. Es war auch die Nacht, in der Aletta endlich erkannte, dass sie sich Dirk Stobart widersetzen konnte, dass er sie nicht in der Hand hatte, dass sie für ihn genauso eine Gefahr darstellte wie er für sie. Und es war die Nacht, in der Aletta zum ersten Mal den Mann sah, den Dirk liebte.
    Wieder einmal hatte sie auf dem Friedhof erscheinen müssen, um Dirk seinen Anteil an dem gestohlenen Geld zu übergeben. Auch diesmal mitten in der Nacht, wieder mit der großen Angst, gesehen, erwischt, zu Hause vermisst zu werden. Seit Jahren war diese Angst nun schon in ihr, jedes Mal glaubte sie, dass es beim nächsten Mal so weit sein würde, dass ein Nachbar zufällig des Nachts aus dem Fenster sah und Aletta Lornsen beobachtete, dass die Mutter einen ihrer Herzanfälle bekam und der Vater seine Jüngste mitten in der Nacht zu Hilfe holen wollte oder dass sie bei ihrer Rückkehr ein Geräusch verursachte, das sie verraten würde. Aber es ging jedes Mal gut, ein ums andere Mal. Die

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