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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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geschafft, sie zu überwinden.
    Noch bevor er das Gartenhäuschen erreicht hatte, schob Aletta leise die Tür auf. Jorit lachte, als er ihr in der Dunkelheit gegenüberstand und nach ihren Armen griff, als wollte er sich vergewissern, dass sie es wirklich war. »Es ist so wie früher.« Dann erkannte sie, dass sein Gesicht schnell wieder ernst wurde. »Tut mir leid, dass ich zu spät bin. Meine Schwiegermutter hatte noch so viel mit mir zu besprechen ...«
    Sie gewöhnten sich schnell an das schwache Licht. Die Konturen schälten sich allmählich aus der Dunkelheit, das Helle, Jorits Hemd, Alettas Schürze, seine Augäpfel, ihre Zahnreihe, wurde immer deutlicher. Sie ließ sich wieder auf dem Sessel nieder, den ihr Vater der damaligen Puppenmutter ins Gartenhäuschen gestellt hatte, er hockte sich auf einen ausgedienten Schemel, dessen drei Beine wackelten.
    »Ist Sönke gefunden worden?«, fragte Aletta.
    Jorit verneinte. »Aber wir sind nicht hier, um über Sönke zu reden«, stellte er klar, und es tat sich eine kurze Stille zwischen ihnen auf, die schwer zu füllen war. »Was ist mit Reik Martensen? Seinetwegen sind wir doch hier, oder?«
    Aletta war dankbar, dass sie weder von Tomma noch von Ludwig oder ihrer Schwangerschaft reden mussten. »Es könnte sein, dass er mein Bruder ist«, antwortete sie. »Ich kann nur mit dir darüber reden. Nicht mit Insa! Mit Insa auf keinen Fall!«
    Jorit starrte sie bewegungslos an, schien wie betäubt, unfähig zu antworten. Deswegen ergänzte Aletta: »Insa war anscheinend mal in Reik Martensen verliebt. Und wie es aussieht, liebt er sie immer noch. Sie waren noch sehr jung, aber ...«
    Nun hatte Jorit sich gefangen und unterbrach sie: »Dein Bruder? Was redest du für einen Unsinn?«
    Aletta begriff, dass sie von vorn anfangen musste. Von ihrer sterbenden Mutter, die ihr ein Geheimnis anvertrauen wollte, von Insa, die es verhindert hatte, von der Truhe auf dem Speicher,die die Reste eines Tagebuches enthielt, das ihre Mutter geführt hatte und das seitenweise von ihrem Vater vernichtet worden war. Und dann die Hinterlassenschaft ihrer Mutter, dass Geert Lornsen nicht ihr Vater war! »Sie muss ein Verhältnis mit einem anderen Mann gehabt haben!«
    Jorit hatte seine Fassung wiedergewonnen. »Deine Mutter? Sie war nicht der Typ für so was.«
    Das hätte Aletta auch bis zu dem Tag gesagt, an dem ihr der Beweis in die Hände gefallen war, dass ihre Mutter anders gewesen war, als sie gedacht hatte. »Ich hatte den Pfarrer in Verdacht. Er ist oft in unser Haus gekommen, und seit ich zurück bin, ist er täglich bei uns.«
    Nun hielt es Jorit nicht mehr auf dem Hocker. »Der Pfarrer?«, stieß er hervor. »Bist du von allen guten Geistern verlassen?«
    Auch Aletta stand auf. »Vielleicht habe ich mich wirklich getäuscht. Reik Martensen hat mir erzählt, dass sein Vater einen schweren Streit mit meinem Vater hatte. Das war, kurz bevor meine Mutter mit Insa die Reise nach Hamburg machte.«
    »Von der sie erst Monate später zurückkehrte, weil sie nicht reisefähig war?«
    »Und Reik Martensen hat vergeblich auf Briefe von Insa gehofft. Aber sie hat ihm nie geschrieben. Vater soll zu ihm gesagt haben, Insa habe ihn längst vergessen. Aus Enttäuschung darüber ist er nie nach Sylt zurückgekehrt. Schon bevor Insa und meine Mutter mit mir zurückkamen, hatte er die Insel verlassen. Und wenn er nicht zur Inselwache gerufen worden wäre, hätte er Sylt nie wieder betreten.«
    »Und Insa? War Reik ihr wirklich gleichgültig geworden, während sie mit ihrer Mutter in Hamburg war?«
    Aletta dachte an die Aufzeichnungen ihrer Mutter. Insa hatte versucht, Briefe zu schreiben und war gleich nach ihrer Rückkehr nach Wenningstedt geradelt. Wie passte das zusammen?
    Sie schwieg lange, ehe sie antwortete: »Vielleicht hat sie eingesehen, dass sie Reik Martensen nicht lieben durfte. MeineMutter musste ihr womöglich gestehen, dass Reik mein Halbbruder ist. Die Familien Martensen und Lornsen unter diesen Umständen durch eine Ehe miteinander verbunden?«
    »Unmöglich«, bestätigte Jorit flüsternd.
    »Also musste Insa verzichten. Und dafür hat sie mich mein Leben lang gehasst.«
    Stille zog in die Hütte ein. Jorit setzte sich wieder, auch Aletta nahm erneut in ihrem Sessel Platz. Der Wind schlich ums Haus, das Mondlicht schwankte vor dem Fenster, Stimmen kamen von weit her und verstummten wieder, jedes leise Geräusch schrillte vor dem Hintergrund der Stille.
    Schließlich fragte Jorit:

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