Sturm ueber Thedra
einzigen Anlass hatte Hund je Angst gezeigt, fiel es Fakun ein. Das war im vergangenen Sommer gewesen, als auf der Hochebene vor Thedra ein Blitz unmittelbar vor ihm in die Erde gefahren war. - Kaum hatte Fakun den Gedanken zu Ende gebracht, als ein blendend weißer Blitz aus der Höhlendecke brach und direkt vor ihm einschlug. Fakun riß die Hände vor das Gesicht und sprang einen Schritt zurück. Dann merkte er, dass Teri unbeteiligt und verwundert dastand, und da erkannte er, dass sie recht gehabt hatte. Diesmal hatten sie nicht über die Erscheinung gesprochen, also hatte sie sie auch nicht sehen können. Dennoch wurde sie plötzlich ganz blass und stand mit schreckgeweiteten Augen da. Dann schloß sie die Augen und suchte nach Halt.
Teri hatte kurz daran denken müssen, wie schrecklich es wäre, wenn Fakun hier zu Schaden käme - und schon hatte sie ihn tot gesehen. Tot und verwesend lag er zwischen den Steinsäulen, und ein schwarzer Käfer kroch aus seinem Mund.
Fakun überlegte, warum Teri wohl so entsetzt war. Im Bruchteil eines Augenblicks fiel es ihm ein, aber noch bevor er ihr sagen konnte, dass es hier keine Schlangen gäbe, wimmelte der Boden plötzlich von den glänzenden Leibern der giftigen Reptilien.
"Mach die Augen zu!" Leise drang Teris Stimme an Fakuns Ohr, obwohl sie schrie. "Es sind Trugbilder! Mach die Augen zu, und halte Hund fest!"
Mit zusammengekniffenen Augen tastete Fakun nach dem Tier, hielt es am Fell fest und bedeckte Hunds Augen mit der freien Hand. Dann spürte er eine Berührung am Knie. Teri hatte zu ihnen gefunden. "Ich glaube, es funktioniert", keuchte sie atemlos. Es ist das Licht! - Wenn wir das Licht nicht sehen, bleibt alles normal!"
"Hier riecht es!" Fakun hatte einen Hauch fauliger Luft wahrgenommen.
"Ja, wie Magisches Feuer!", bestätigte Teri, denn das war die einzige Schwefelverbindung, die sie kannte. "Aber ich habe keine Angst!"
"Ich auch nicht!", log Fakun tapfer mit. "Aber lass bloß die Augen zu, während wir hier rauskriechen!"
Nichts auf der Welt hätte Teri im Moment lieber getan, als mit Fakun schleunigst von hier zu verschwinden; aber das ging nicht. - Das hier war eine Nische, und sie hatte einen Auftrag zu erfüllen. Sobald der Gedanke an Thedra in Teri auftauchte, war es aus mit ihrer freien Entscheidung. Es war nichts Bewußtes, was Teri immer wieder veranlasste, so zu handeln, wie sie es tat. Ein eher dumpfes Gefühl, wie es vielleicht Zugvögel auf ihren Reisen empfinden, trieb sie voran und nötigte sie zu Handlungen, deren Sinn ihr verschlossen blieb.
Teri hatte Angst! Angst vor dieser Höhle, in deren Licht die grausigsten Trugbilder aus der eigenen Phantasie auftauchten und vergingen. - Hätte sie wenigstens noch ihr Gespür für die scheinbar leblosen Dinge besessen, dann hätte sie vielleicht herausfinden können, ob dies ein böser Ort war, aber so blieb ihr auch diese Möglichkeit verschlossen. "Bleib mit Hund hier", flüsterte sie Fakun zu. "Ich will versuchen, den Kristall mit geschlossenen Augen zu finden. Vielleicht tut mir das Licht ja nichts, wenn ich mich immer nur ganz schnell umschaue."
Fakun haßte inzwischen den Auftrag seiner Frau, der sie beide immer wieder in Schwierigkeiten brachte, aber er wußte, dass alles Reden keinen Sinn haben würde. "Aber denk an nichts Schreckliches!", ermahnte er sie also nur und ließ ihre Hand los, als er einen leichten Zug verspürte.
`Denk an nichts Schreckliches!' - Ein frommer Wunsch und ein unmöglicher Auftrag!
Wer jemals versucht hat, ausdrücklich an nichts Schreckliches zu denken, weiß, dass das so gut wie unmöglich ist. Das Schreckliche am Schrecklichen ist ja, dass es immer ungerufen kommt. Gute Gedanken sind leicht abzuwehren, wenn man sich in Wut, Angst, oder Ekel versetzt. Aber selbst der schönste Gedanke und die zarteste Liebe sind vom Keim des Verlustes und der Zerstörung durchdrungen. Nur ein wenig Nahrung noch, und der Schrecken wächst. - Und das Licht in der Höhle war Nahrung genug.
Teri hinkte mit geschlossenen Augen zwischen den Stalagmiten umher, und sobald sie sie für einen Augenblick öffnete, stürzten alle Ängste, die sie in sich trug, auf sie ein.
Teri sah Schlangen und Spinnen, die auf ihren Armen herumkrochen. - Leichen die bleich im schwarzen Wasser des Sees trieben und wieder Fakun, diesmal den toten Hund in den Armen haltend, nur an der Kleidung erkennbar, als Skelett! - Teri wußte, dass das alles Hirngespinste waren, aber trotz dieses Wissens griff
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