Sturm ueber Thedra
tiefer Angst, die den Schläfern keine Chance ließ zu erwachen. Die Inhalte der Träume entsprachen, wie auch die Trugbilder in der Höhle, ihren ganz eigenen Ängsten. So schuf sich jeder der beiden seine eigenen Schreckensphantasien. Immer neues Entsetzen drängte unaufhaltsam aus den Tiefen der Phantasie nach oben, und diesmal gab es nicht die Möglichkeit, die Augen zu schließen. Fernab jeder Realität trieben die beiden in ihren schlimmsten Angstträumen dahin, wohl wissend, dass sie schliefen, um das Erwachen flehend und doch in den Ketten der Ohnmacht festgehalten von dem roten Licht, das auf sie zuerst so sanft und freundlich gewirkt hatte.
Hund erwachte am Morgen als erster. Er hatte sehr gut geschlafen. - Zwar hatte in der Nacht einige Male der Blitz direkt vor ihm eingeschlagen, aber da war nichts sonst gewesen, was über den Rahmen seiner gewöhnlichen Hundeträume hinausgegangen wäre. - Dazu fehlte es ihm einfach an Einbildungskraft! - Wohlig streckte er zuerst die Vorder- dann die Hinterläufe von sich und beschloß dann, die Menschen noch ein wenig schlafen zu lassen. Höflich verzog er sich in einen der hinteren Winkel der Höhle und verrichtete dort seine Notdurft, worauf ihm das Wasser des Sees gleich noch einmal so gut schmeckte. Eine Weile stromerte er noch in der Höhle herum, und erst als er sicher war, hier nichts Nahrhaftes auftreiben zu können, tapste er zu Fakun hinüber und stupste ihn mit der Nase an.
Fakun träumte gerade von Teri: Teri war ganz allein in einer Wüste. - Sie war schon tagelang ohne Wasser und Nahrung. - Hilflos lag sie auf dem Rücken und wartete auf den Tod. Schon hatte der Sand sich auf ihre geschlossenen Augenlider gelegt, aber noch war Leben in ihr, als sich plötzlich ein gewaltiger Vogel aus dem Himmel auf sie fallen ließ und seine Krallen in ihren Leib schlug. Dem Wahnsinn nahe sah Fakun, der sich nicht bewegen, ja noch nicht einmal schreien konnte, wie das Tier mit ein paar Hieben des gekrümmten Schnabels Teris Bauch aufhackte und das ungeborene Kind aus dem Leib der Mutter riß! - Genau in diesem Moment spürte er die Berührung von etwas Kaltem an seiner Wange und fuhr mit einem Schreckensschrei auf.
Sofort warf er sich über Teri die neben ihm schlief und riß ihr die Decke vom Körper. Allen Göttern sei Dank! - Sie war unverletzt!
Teri schlug bei Fakuns Berührung wild um sich und richtete sich, wahnsinnigen Haß in ihren Augen, auf. - Sie hatte gerade geträumt, der bösartige Dramile habe sie gefunden und sei dabei, Fakun zu blenden. Dann erkannte auch sie, wo sie war und dass es Fakun gut ging. Langsam beruhigte sie sich.
Leise sprachen die beiden über ihre Träume in dieser Nacht, wobei sie allerdings über Andeutungen nicht hinausgingen, denn jeder war in den Träumen des anderen Dutzende grausamer Tode gestorben.
"Komm, schnell raus hier!" Fakun packte schon die Sachen zusammen. "Die Höhle ist verhext! Hier wohnt die Angst!"
"Du hast recht! Wir haben uns täuschen lassen!" Auch Teri sprang auf, wobei sie den verstauchten Fuß allerdings schonte.
So schnell wie möglich schaffte Fakun die Bündel zum Einstieg und warf sie hinunter. Er kletterte vor und stützte Teri, bis sie den Boden erreicht hatte. Hund konnte es natürlich nicht erwarten, bis Fakun ihn holte. Vorsichtig tastete er sich über die Kante des Einstiegs und rutschte, mit allen vier Pfoten bremsend, die fast senkrechte Wand hinab. Als er unten unglücklich aufkam, jaulte er kurz auf und hinkte ein paar Schritte weit auf drei Beinen. Dann setzte er aber tapfer die verletzte Pfote auf und konnte tatsächlich ganz gut darauf laufen.
Ausgespien von den Gebilden der eigenen Phantasie, taumelten Teri und Fakun den Steinhang hinunter auf den Weg zu. Keine Qual, die sie in der vergangenen Nacht nicht durchlebt, kein Verlust, den sie nicht erlitten hätten. Ekel und Abscheu, Wut und Trauer tobten noch immer in ihnen, als sie diesen Alptraum ohne Ende hinter sich ließen.
KAPITEL 11 - ENA
Kein Feind kann Dich so verletzen, wie Du selbst.
Der Frühsommer brachte den Thedranern Wärme, aber keine Verbesserung ihrer Lage. Noch immer herrschte Gouverneur Llauk mit Hilfe der Dramilen über die Stadt, und die Bevölkerung haßte ihn, wie noch kein Mensch in Thedra gehaßt worden war.
Der Handel mit den Städten des Kontinents war völlig zum Erliegen gekommen, seit die Fliegenden Schiffe vor der Hafeneinfahrt patrouillierten, und auch kein Dramilenfrachter hatte den Hafen verlassen
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