Sturm ueber Thedra
Schar gebildet, die die Befreiung der Stadt anstrebte. Da die Stärke der Gruppe aber kaum mehr als zwanzig Mann betrug, erschöpften sich die Aktionen der tapferen Krieger in immer neuen abendlichen Gelagen im größten Wirtshaus des Ortes.
Aganez lebte recht zurückgezogen im Haus der Witwe, beobachtete amüsiert das Treiben in der Stadt und bereitete sich auf die große Wanderung, die Suche nach der Schlafenden Armee, vor. Die Leute von Wettergrube ließen ihn in Ruhe. Sie waren an Fremde gewöhnt, die, jahraus, jahrein, über die sternförmig von der Stadt ausgehenden Straßen gewandert kamen; da fiel ein alter Mann, der sich absonderlich kleidete und mit altmodischem Akzent sprach, nicht weiter auf.
Einzig beunruhigend fand Aganez die Tatsache, dass hier noch niemand etwas von einer jungen Thedranerin gehört hatte, die nach dem Alten vom Berg fragte. Was konnte die Hüterin aufgehalten haben?
Der Sommer verging und der Herbst kam. Aganez Laune sank auf einen Tiefpunkt. Sein Zeitplan war vollständig durcheinandergeraten. Ursprünglich hatte er vorgehabt, von hier aus im nächsten Frühjahr in das Große Gebirge zu ziehen. Dadurch, dass es nun die Bergstadt Stein gab, hatte er seinen Plan insoweit umstellen können, als dass er das Winterlager für sich und die Hüterin nach dort verlegte. Das brachte ihm einen gehörigen Zeitvorteil, denn dadurch würde er den Bergsommer in seiner vollen Länge ausnutzen können. - Das alles blieb aber bloße Theorie, wenn die Hüterin nicht bald auftauchte. In weniger als drei Monaten würde der erste Schnee fallen, und dann würden alle Wege nach Stein in kurzer Zeit unpassierbar sein.
An einem sonnigen Spätsommertag packte Aganez sein Bündel, prüfte seine Waffen und machte sich auf den Weg nach Westen. Wenn die Hüterin ihn nicht fand, dann würde er eben die Hüterin finden müssen! Der geruhsame Sommer in Wettergrube war Aganez hervorragend bekommen, und er fühlte sich um Jahrzehnte – genau genommen um Jahrhunderte - verjüngt. Mit großen Schritten ging er in Richtung der untergehenden Sonne, sein Bündel geschultert und seine Waffen unter dem weiten Umhang verborgen. Zwar hätte er sich ohne Probleme einen Helfer oder eine Helferin beschaffen können, denn es gab nur wenige Menschen, die er nicht mittels Hypnose in seinen Bann ziehen konnte; aber das hätte seinem Konzept widersprochen. Aganez, der große Aganez, hatte vor Hunderten von Jahren einen Plan gemacht, dessen Auswirkungen bis in die heutige Zeit zu spüren waren. Diesen Plan wollte er unbedingt einhalten, denn die Legende vom unfehlbaren Magier durfte keinen Makel erhalten. Nichts fürchtete Aganez so sehr, wie den Spott der Menge. - Undenkbar, dass etwas nicht funktionierte, wie er es sich gedacht hatte! Egal, was mit der Hüterin geschehen war, er mußte es herausfinden!
Dumpf lastete die spätsommerliche Hitze auf der staubigen Straße nach Neu-Eraji, einem großen Dorf nahe bei Wettergrube, doch Aganez stürmte in seinem Zorn voran, wie in jungen Jahren. Gleichgültig aus welchen Gründen die Hüterin seine Pläne durchkreuzt hatte, sie würde sich eine sehr gute Entschuldigung einfallen lassen müssen!
Grimmig umklammerte der Magier den Griff des unscheinbaren Schwertes, das an seiner Seite hing. Unscheinbar waren allerdings nur Griff und Scheide. Die Klinge selbst war knapp zwei Ellen lang, und die Waffe war genauso alt wie Thedra. Aganez selbst hatte sie geschmiedet, und der Stahl war so makellos, dass selbst die Jahrhunderte in der Felsenhöhle ihm nichts hatten anhaben können. Hätte Aganez je sein Schwert vor den Augen anderer ziehen müssen, hätte ihm seine ganze Tarnung nichts mehr genützt. Wer eine solche Waffe besaß, war ein mächtiger Mann, gleichgültig, wie zerlumpt er herumlaufen mochte. Aus diesem Grund hatte der Magier es auch unterlassen, sein Schwert mit einem prächtigen Griff zu versehen, wie es wohl jeder Andere bei einer so wunderbaren Waffe getan hätte. Schnell waren Neid und Neugier geweckt, und lästige Fragesteller waren Aganez schon immer ein Greuel gewesen. Also hatte er die stählerne Parierstange mit einer Bronzeschicht überzogen, und als Griffstück das abgegriffene Heft einer alten Bronzewaffe verwendet. So konnte ein zufälliger Betrachter den wahren Wert seiner Waffe nicht erahnen.
Ähnlich verhielt es sich mit dem Bogen, den Aganez bei sich trug. Niemand hätte unter der dichten Bastwicklung blitzenden Federstahl vermutet, und auch die Sehne, die
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