Sturm ueber Thedra
größer, und die Tribute von den Städten mußten so manches Mal mit Schwert und Pike eingetrieben werden, um alle satt zu machen. Dabei konnte es bei aller Rücksichtnahme nicht ausbleiben, dass die Heerschar auf ihrem Weg eine breite Schneise des Mangels durch das ohnehin unruhige Land zog.
Teri und Keldan sahen hier ein ernstes Problem, denn leicht konnte es geschehen, dass die allzu arg geschröpften Städte sich doch noch zu einer Allianz aufrafften und der Armee so etwas wie eine Bürgerwehr entgegenstellten. Damit wäre das Ziel von Teris Plan allerdings endgültig verfehlt gewesen, denn sie hatte nicht eine Armee aufgestellt, um Estador auszuplündern und eine Schlacht gegen empörte Bürger zu führen. - Das Ziel war nach wie vor, die Dramilen aus Thedra zu vertreiben, jedoch der Weg dorthin war mit einigermaßen friedlichen Mitteln fast nicht mehr zu begehen. Schon jetzt hatte das Heer einen Bedarf an Nahrungsmitteln und Kleidung, der dem einer großen Stadt gleichkam, und täglich wurden es mehr Befreite, die zu versorgen waren.
Keldans Vorschlag lautete nun, die Armee über den Winter auseinanderzuziehen, um die Belastung für die Städte möglichst klein zu halten. Vier Gruppen zu je etwa fünfhundert Mann sollten sich über das Land ausbreiten, wie die gespreizten Finger einer Hand und sich erst wieder bei Frühlingsbeginn vor Thedra treffen. Neben allen anderen Vorteilen war es so auch möglich, noch mehr Sklavenlager zu befreien, als wenn die Truppe zusammen marschiert wäre, weil so weitaus mehr Städte berührt werden konnten.
Es wurden also fähige Unterführer gewählt, und als die Nächte begannen empfindlich kalt zu werden, teilte sich das Heer, um getrennt auf Befreiungs- und Requirierungszug zu gehen. Die Hauptgruppe, die direkt auf Thedra marschierte, wurde von Keldan geleitet, und Teri fand sich plötzlich als Befehlshaberin einer Unterabteilung in ihrer eigenen Armee wieder. Aber auch das war ihr recht. Sie überließ ihren Offizieren die Führung der Truppe, denn sie hatte ihre Aufgabe erfüllt. Die Armee, die in der Kraft der Unterdrückten geruht hatte - die Schlafende Armee - marschierte, um Thedra zu befreien. Zwar würden sich die Thedraner sehr wundern, was da auf sie zukam, aber das war nicht Teris Sache.
Teri begann, sich immer mehr in sich zurückzuziehen. Immer öfter mußte sie an Fakun und ihr Kind denken. Den Göttern sei Dank war Tregh zu weit abgelegen, um von dem nördlichen "Finger" der Sklavenarmee berührt zu werden, denn sonst wäre sie selbst mit dieser Abteilung marschiert. Teri wußte, dass die befreiten Sklaven nicht allzu zimperlich mit der Bevölkerung umgingen und hoffte darauf, dass alle Truppenführer eine gewisse Disziplin aufrechterhalten konnten.
Die Scharfrau Teri fand, dass alles aufs Beste bestellt war, während die echte Teri die endlose Kette von Gewalt verabscheute, die sie ausgelöst hatte. - Die ganze Sache begann, ihr über den Kopf zu wachsen, und der Winter gab ihr endlich Gelegenheit, alles noch einmal in Ruhe zu überdenken.
KAPITEL 10 - DER MARSCH AUF THEDRA
Man soll seine Feinde lieben, und das Buch ist mächtiger als das Schwert! - Aber was, wenn der Feind nicht lesen mag und auch nicht geliebt werden will?
Es ist ein großer Unterschied, ob sich zwei Menschen und ein Hund durch den Tiefschnee kämpfen, oder ob eine Armee sich langsam, aber beständig, einen Weg durch die hoch verschneite Landschaft bahnt. Ein lange Reihe Bewaffneter schob sich unaufhaltsam auf Thedra zu. Wer sich kräftig genug fühlte, ging eine Zeitlang an der Spitze mit, um den Nachfolgenden den Weg zu ebnen. Ließen die Kräfte dann nach, blieb man einfach ein wenig zurück, um seinen Platz einem Stärkeren zu überlassen. So ging es mit geringer Geschwindigkeit, aber sehr beharrlich, über die weiten Felder Estadors, und weil es recht langsam voranging, konnten auch die Alten, Kranken und Erschöpften gut mithalten.
Mittlerweile waren die Befreiten unter Teris Leitung weit über Wettergrube hinaus in Richtung Thedra vorgedrungen. Jetzt zog das Heer durch die Provinz Astrad, nur fünf gute Tagereisen von der Hauptstadt entfernt, und in den Verschnaufpausen brachten die ehemaligen Sklaven ihre erlernten Fähigkeiten zum Einsatz, um die Ausrüstung der Truppe vor dem entscheidenden Kampf zu vervollständigen. Die Köhler machten Spieße aus im Feuer gehärteten Hölzern, die Tuchmacher nähten Kleidung und die Steinbrecher fertigten Axtköpfe, Lanzenspitzen und
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