Sturm ueber Thedra
Plötzlich war die Angst wieder da. Der Augenblick der Abfahrt war nahe und rückte immer näher. Teri war versucht, vom Schiff zu fliehen, sich einfach auf die Laufplanke zu stürzen, über den Hafenplatz zu laufen und sich in einem ihrer vielen Verstecke zu verbergen.
"He, Teri!" Aska, die älteste der Kraan-Frauen, winkte ihr zu. "Du nicht Angst vor Weggehen. Du Welt sehe. Das gut!"
Teri lächelte schwach und zuckte hilflos die Schultern.
"Du komme und sitze auf Decke! Ich singe Lied von Welt."
Widerstrebend ließ Teri sich auf der Felldecke der Alten nieder. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie sich die Matrosen an den Leinen der Kao-lad zu schaffen machten. Panik breitete sich in ihr aus. Gleich würde es zu spät sein. Das Schiff legte schon ab. Wann würde sie Thedra wiedersehen? Es war ihr, als verlöre sie ihre Eltern ein zweites Mal. Mit tränenverschleiertem Blick saß sie da und spürte die Hand der Fremden auf ihrem Arm. Aska begann leise, ganz leise zu singen.
Schon nach wenigen Takten der komplizierten Melodie spürte Teri, wie die Angst, die sie fast überwältigt hatte, einer sanften Traurigkeit wich. Aber in der Melancholie des Abschieds schwang noch etwas anderes mit: Erwartung.
Schneller wurde die Melodie und fröhlicher. Teris Geist verließ voller Ungeduld den Hafen Thedras und flog weit auf das Meer hinaus. Ungeduldig strebte er den fernen, unbekannten Ländern zu, die so voller Wunder waren. Und dann sah Teri. - Sah, wie die Erzählungen des Großvaters Gestalt annahmen. - Sah die federleichten, dicken Drachen, die sich im starken Wind an Felsbrocken klammerten und wütend feurigen Rotz ausspien. - Sah die Menschen, denen die Zunge oben angewachsen war. - Sah die Türme aus Kristall, die die Einfahrt zur Kaiserstadt flankierten. - Sah alle Wunder dieser Welt, von denen sie je gehört hatte und konnte nicht genug davon bekommen. Jauchzend vor Glück überflog Teri die Welt. Tauchte tief in den Dschungel von Ceon und die Schluchten der Westlichen Berge. Schwang sich hoch über die Felsbarriere, die Estador vom restlichen Kontinent trennte und kehrte langsam, schwebend, wieder in den Hafen von Thedra zurück. Dann war Askas Lied zu Ende.
Teri war vor überschäumender Freude kaum noch zu bändigen. Mit strahlendem Gesicht schnellte sie hoch und schaute sich um. Noch immer war die Kao-lad mit einem letzten Tau am Kai festgemacht. Ein Ruderboot lag parat, das große Schiff aus dem windgeschützten Hafen herauszuschleppen. Die Matrosen in den Rahen waren bereit, beim geringsten Windhauch die Segel zu setzen.
Teri war glücklich. Endlich war es so weit. Sie würde die Welt sehen; die Kaiserstadt, Tigan, Gebirge und Wüsten und vieles andere mehr! Konnten die Matrosen sich nicht beeilen? Konnten die Ruderer nicht schneller rudern? Konnte der Wind nicht schon hier im Hafen wehen? Teri hatte es eilig. - Eilig, all die Wunder zu sehen, die auf sie warteten!
Das letzte Tau fiel polternd auf die Planken der Kao-lad.
"Es geht los! Endlich geht es los!" Teri hüpfte ausgelassen auf Tana und Gerit zu, die eng umschlungen vor dem kleinen Zelt auf dem Vorschiff saßen. Die ernsten, traurigen Gesichter der beiden Erwachsenen fielen ihr gar nicht auf. - Sie hätte auch kein Verständnis dafür gehabt. Die Welt wartete. Wie konnte man da traurig sein?
Am dritten Tag nach der Abfahrt kam in der Morgendämmerung das Finderschiff.
Zunächst war in dem Frühdunst über dem Wasser nicht genau zu erkennen gewesen, wer sich der Kao-lad in der Nacht genähert hatte. Der Matrose, der hoch oben im Mast in einem Segeltuchsitz Wache hielt, hatte ganz normal Meldung gemacht.
Dann, als die Sonne etwa vier Höhen über der Kimm stand, wurde es offensichtlich. Ein Dramilischer Dreimaster lief mit voller Fahrt auf die Kao-lad zu. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Vorsichtshalber gab der Kapitän die notwendigen Kommandos für einen Kurswechsel.
Sofort reagierte der Kapitän des fremden Schiffes und änderte ebenfalls den Kurs. Wieder lag die Kao-lad direkt vor dem Bug des Dreimasters. - Die Jagd war eröffnet.
Der Kapitän der Kao-lad hielt die Besatzung des Finderschiffs in Atem. Jedes Mal, wenn der Finder sich auf einen Kollisionskurs eingerichtet hatte, wechselte die Seidenprinzessin eilig ihren Kurs. Da sie erheblich kleiner war als das Finderschiff, ging das auch recht schnell, so dass die Piraten ein ums andere Mal mit voller Fahrt ins Leere stießen.
Aufgeregt verfolgten die Passagiere der Kao-lad die
Weitere Kostenlose Bücher