Sturm und Drang
herausgekommen?«
Habenax schaut sich unbehaglich um. Er hätte gern, dass ich noch eine Münze in seine Schale lege, aber er will sich nicht dabei erwischen lassen, wie er mit einem Detektiv plaudert. Wenn man in ZwölfSeen zu bereitwillig redet, kann sich das als ein sehr ungesunder Zeitvertreib erweisen. Aber es ist niemand zu sehen. Ich lasse die Münze in die Schale fallen.
»Es war ein ziemliches Kommen und Gehen in dem Haus. Einer war ein Zauberer.«
»Ein Zauberer? Ein großer Mann? Mit einem langen Mantel und teuren schwarzen Stiefeln?«
Der Bettler nickt. Also war Georgius Drachentöter auch da. Das ist interessant.
»Wer noch?«
»Ein dünner Mann in einem Umhang.«
»Wie sah er aus?«
Habenax zuckt die Achseln. »Er hatte eine Kapuze aufgesetzt. Er war dünn und hielt den Kopf gesenkt, als wollte er nicht erkannt werden.«
»War er vor dem Zauberer da?«
Habenax nickt. Ich versuche, eine genauere Beschreibung dieses Mannes herauszubekommen, aber er kann mir nicht mehr verraten. Ein dünner Mann mit einem Umhang. Mittelgroß und mit einem grauen Wams bekleidet, was so ziemlich auf neunundneunzig Prozent der Bewohner von ZwölfSeen zutrifft. Mit dieser Beschreibung kann ich nicht viel anfangen.
»Noch jemand?«
Er sieht sich wieder nervös um. Ich fürchte, dass er kein Wort mehr verraten will, und bringe noch eine Münze zum Vorschein.
»Borinbax«, stößt er hastig hervor.
Von Borinbax habe ich schon gehört. Er arbeitet für die Bruderschaft, was Habenax’ Zögern erklärt. Natürlich will er niemandem verraten, dass er ihn gesehen hat. Borinbax ist von Berufs wegen ein Dieb. Er ist zwar nicht gerade der Dieb von Turai, aber er ist sehr fleißig. Hauptsächlich arbeitet er an den Lagerhäusern im Hafen, aber er soll auch schon Wagen ausgeraubt haben, welche die Stadt belieferten. Er könnte durchaus den Ozeanischen Orkan gestohlen haben. Allerdings wüsste ich nicht, dass er auch schon Leute umgebracht hat. Falls er aber der Dieb war, befindet sich das Artefakt möglicherweise in den Händen der Bruderschaft. Das macht eine Rückgewinnung sehr schwierig.
Ich werfe noch eine Münze in Habenax’ Schale. Mittlerweile regnet es stärker. Den Bettler fröstelt, und er sieht ziemlich mitgenommen aus. In dem Moment öffnet sich das Kirchenportal. Als ich hochblicke, sehe ich Litanex, den Pontifex. Er starrt mich missbilligend an, und ich entferne mich hastig.
Borinbax hat ein paar Zimmer über dem Geschäft eines Segelmachers an den Piers gemietet. Als ich dort ankomme, ist der Himmel grau verhangen, und es regnet stärker. Das Wasser im Hafen ist kabbelig, und das Meer hinter den Seemauern tost. Falls wirklich irgendwelche orkischen Schiffe da draußen kreuzen, dürfte es ziemlich ungemütlich für sie sein. Vielleicht ersaufen Prinz Amrag und seine Armee ja. Das würde uns eine Menge Ärger ersparen.
Bevor ich Borinbax einen Besuch abstatte, sehe ich mich nach einem Wal um, beziehungsweise nach etwas, das einem Wal ähnelt. Aber ich finde nichts, was ich auch nicht anders erwartet habe. Ich habe fast mein ganzes Leben in der Nähe des Hafens verbracht, und ich habe niemals von etwas gehört, das sich »der Wal« genannt hätte. Aber Tanroses Mutter hat sich eindeutig daran erinnert, dass ihr Vater sagte, das Gold läge unter dem Wal begraben. Nachdem ich eine Weile ergebnislos herumgelaufen bin, drängt sich mir allmählich die Frage auf, ob sie vielleicht den Verstand verloren hat. Wenn man so lange in ZwölfSeen gelebt hat, besteht diese Möglichkeit durchaus.
Rund um die Piers gibt es viele Kaschemmen. Ob eine von ihnen vielleicht einmal Zum Wal hieß? Das wäre möglich. Ich werde es später überprüfen. Jetzt gebe ich die Schatzsuche auf und konzentriere mich wieder auf Borinbax.
Neben dem Geschäft des Segelmachers befindet sich eine kleine Tür. Die Treppe dahinter führt hinauf zu Borinbax’ Zimmern. Die Tür ist nicht verschlossen, und ich steige vorsichtig die Treppe hoch. Wer auch immer den Ozeanischen Orkan gestohlen hat, schreckt vor einem Mord nicht zurück, deshalb lasse ich meine Hand auf dem Knauf meines Schwertes liegen, während ich hinaufgehe. Falls mir jemand begegnet, habe ich meinen Schlafzauber bereit. Es ist zwar nur ein Minderzauber, aber er hat mir schon oft aus der Klemme geholfen.
Borinbax’ Wohnungstür ist weiß lackiert, wie die meisten Wohnungstüren in Turai. Weiß ist die Glücksfarbe für Haustüren. Der Lack ist noch frisch, was darauf hindeutet,
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