Sturm
ist«, hatte er gesagt. »Wir wissen, dass Daneel dich betrogen hat, so wie er uns betrogen hat. Wir wünschten nur, du hättest einen anderen Weg eingeschlagen, einen, der weniger Menschen in dein Unglück hineingerissen hätte. Diese Wahl hast du nicht getroffen. Das ist die Schuld, die du auf dich geladen hast.«
Seine Worte hatten geklungen wie die auswendig gelernten Zeilen eines Theaterstücks. Seit er sie ausgesprochen hatte, dachte Ana immer wieder über sie nach. Ein Sprichwort ihres Vaters schien darauf zu passen: Ein Mann, dem die Flucht vor einem Bären gelingt, ist nicht der Mörder des Mannes, den der Bär an seiner Stelle frisst. Sie trug keine Schuld am Schicksal der Gaukler, egal was Qaru gesagt hatte.
Ana trat neben Jonan. »Ich sollte mit ihnen reden«, sagte sie.
Er sah nicht auf. Seine Hand bewegte sich rhythmisch auf und ab, gaukelte den Fischen im Wasser Leben am Ende der Schnur vor. »Über was?«, fragte er.
»Über ihre Anschuldigungen. Sie haben Unrecht. Ich bin nicht schuld. Sie hätten an meiner Stelle das Gleiche getan.«
»Wieso interessiert es dich, was sie denken?«
Ana zögerte. »Weil es so ungerecht ist. Weil sie so tun, als ob ich eine Wahl gehabt hätte.«
Jonan riss kurz und heftig an der Schnur, dann zog er sie langsamer in den Käfig hinein. Ein Frosch hing an ihrem Ende. Seine Zehen waren gespreizt, die Schwimmhäute gespannt, als versuchte er sich in der Luft abzustoßen und zu fliehen. Jonan schlug ihm mit der Faust auf den Kopf, dann zog er den Angelhaken – eine Nadel, die Fyramei bei sich gehabt hatte – aus dem Maul.
»Er hatte eine Wahl«, sagte er dann. »Er hätte nicht in den Köder beißen müssen, aber er hat es getan.«
»Was willst du damit sagen?«
Jonan hob die Schultern, spießte einen der Nachtfalter, die er als Köder benutzte, auf den Haken und warf die Schnur wieder ins Wasser. Ana kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er nicht mehr dazu sagen würde. Es machte sie wütend. Er war nur ein paar Jahre älter als sie, hatte kaum mehr von der Welt gesehen, aber er klang stets so, als besäße er ein Geheimwissen, das ihres überstieg. Er schien vergessen zu haben, dass er immer noch ihr Diener war, auch wenn sie die Distanz, die standesgemäß gewesen wäre, aufgegeben hatten. Sie würde ihn daran erinnern müssen, wenn die Zeit reif war und sie diese Gefangenschaft überstanden hatten.
»Ich denke darüber nach, Daneel zu töten«, sagte Jonan nach einem Moment leise.
Ana sah aus den Augenwinkeln zu Daneel hinüber. Er lehnte mit geschlossenen Augen an den Gitterstäben. Seine Kiefer bewegten sich unablässig, so als versuche sein zahnloser Mund zu kauen.
»Glaubst du, du könntest es?«
»Er stellt eine Gefahr für dich dar. Es ist meine Pflicht, Gefahren zu beseitigen.«
Er hatte sie missverstanden. Ana schüttelte den Kopf. »Natürlich könntest du es, er wäre ja nicht der Erste.« Sie bemerkte, dass er die Lippen zusammenpresste, als sie das sagte. »Aber wäre das klug?«, fuhr sie fort. »Er hat uns aus Braekor herausgebracht, und wenn er jemanden findet, der seine Sprache spricht, kann er uns auch aus diesem Käfig holen, bevor wir am Ziel ankommen.«
Sie glaubte den Atem der Priester wieder auf ihrer Wange zu spüren. Ihr wurde kalt. »Ich will an diesem Ziel nicht ankommen, Jonan.«
Er richtete seinen Blick auf die Angelschnur im Wasser. Seine Hand wippte auf und ab. Ana sah die Tätowierung auf seinem Handrücken, eine Welle mit einem Schwert darüber. Auf seiner dunklen Haut war sie nur schwer zu erkennen.
»Daneel wartet auf jemanden«, sagte Jonan und sah sie an. »Ich glaube, er wartet, seit wir Braekor verlassen haben.«
Sie nickte. »Er weiß nicht, was er mit mir machen soll. Er braucht Anweisungen.«
Jonan riss an der Angelschnur. Der Haken war leer, der Köder verschwunden. Er verzog das Gesicht und griff nach einer frischen Motte. »Wir sollten weit weg sein, wenn er sie bekommt«, sagte er dann. »Alle wollen dich tot sehen, alle außer …«
Für einen Augenblick dachte Ana, er würde den Satz mit dem Wort »mir« beenden, aber stattdessen sagte er: »… vielleicht Rickard. Du glaubst doch noch immer an ihn, oder?«
Als Ana zehn Jahre alt war, hatte Zrenje sie gefragt, ob sie immer noch an Palla glaube, die Fee im Stein, der man Wünsche zuflüstern konnte. Natürlich, hatte sie geantwortet, weil sie wusste, dass Zrenje das hören wollte.
Sie sah Jonan an und lächelte. »Ja, ich glaube an ihn. Er wird
Weitere Kostenlose Bücher