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Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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mich nicht hintergehen.«
    Er warf die Schnur zurück ins Wasser. Der tote Frosch, der neben ihm lag, trocknete langsam in der Sonne. Fliegen begannen über ihm zu kreisen.
    Ana sah zu Daneel hinüber. Er war aufgestanden und wandte ihr den Rücken zu. Sein Blick richtete sich auf einen hölzernen Steg, der in die Sümpfe hineinragte. Ein Junge saß nackt darauf und angelte. Zwei Frauen saßen ebenso nackt am Ufer.
    »Könnt ihr mich verstehen?«, rief Daneel. »Nickt, wenn ihr mich versteht!«
    Die beiden Frauen winkten ihm zu und lachten. Der Junge sah nicht einmal auf.
    Daneel schlug mit der Faust gegen einen Holzbalken und schüttelte den Kopf.
    »Töte ihn nicht«, sagte Ana leise. »Er will dieses Floß ebenso sehr verlassen wie wir. Vielleicht hilft uns das.«
    »Wie du wünschst.«
    Ana legte den Kopf gegen das Holz der Gitterstäbe. Sie war müde, hatte seit Beginn der Fahrt kaum geschlafen. Die Angst und die Enge hielten sie wach. Die Luft roch nach Fisch und menschlichen Exkrementen. Sie alle bemühten sich, ihre Notdurft im Wasser zu verrichten, aber nicht immer gelang das auch. Ana schämte sich jedes Mal, wenn sie sich hinhocken und ihren Rock hochheben musste. Die Gaukler schien das nicht zu stören. Sie waren wohl daran gewöhnt, ihr gesamtes Leben in Gegenwart anderer zu verbringen.
    Ana schloss die Augen. Eine Brise kühlte ihr Gesicht und trug süßen Blütengeruch über das Wasser. Sie fragte sich, wie das Wetter wohl in Somerstorm sein mochte. War bereits der Schnee gefallen? Hatten die Hirten die Ziegen ins Tal getrieben, und war die Maka-Ernte gut ausgefallen?
    Sie vermisste Somerstorm, die Kälte, den Wind und die Ödnis. Diese grünen Landschaften, durch die sie fuhren, waren ihr fremd, ihre Bewohner unheimlich. Und die Menschen, mit denen sie reiste, waren fremd und unheimlich zugleich, sogar Jonan, den sie mal zu kennen, mal zu mögen, mal zu hassen glaubte. Doch nichts davon hatte Bestand. Er zog sich so sehr in sich zurück, dass er selbst nach all der Zeit ein Unbekannter geblieben war.
    »Könnt ihr mich verstehen? Nickt, wenn ihr mich versteht!«
    Ana öffnete die Augen, als sie Daneels Stimme hörte, und drehte sich um. Er stand auf der anderen Seite des Käfigs. Seine Worte richteten sich an eine Kette aus drei Flößen, die ihnen entgegenkam. Auf dem Dach des ersten Floßes, hoch über dem Sumpf, hockten einige Männer zwischen Kisten und Säcken. Sie trugen Reisekleidung – staubige Ledermäntel, hohe Stiefel und breite Hüte, die Gesicht und Nacken vor der Sonne schützten. Einer von ihnen, ein bärtiger, kräftig wirkender Mann, erhob sich. Ein Schwert hing an seiner Seite. »Ich kann Euch sogar antworten, wenn Ihr das möchtet.«
    Er sprach im Dialekt von Braekor. Ana sprang auf. »Habt Ihr Nachrichten aus Somerstorm?«, rief sie, bevor Daneel etwas sagen konnte.
    Der Mann breitete die Arme aus. Er stand hoch über ihnen wie ein Sonnenpriester auf einem Tempeldach. Die Flöße waren noch so weit voneinander entfernt, dass sie seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen konnte. »Somerstorm ist gefallen. Die Nachtschatten herrschen jetzt dort. Fürst Balderick hat eine gewaltige Armee aufgestellt, um Somerstorm zurückzuerobern. Es heißt, dass zwanzigtausend Mann nach Norden marschieren. Eine solche Armee hat man seit dem Roten König nicht mehr gesehen.«
    Der Mann räusperte sich. Er klang so, als hätte er schon anderen Bericht erstattet. »In Braekor kämpfen Karral I und II gegeneinander. Beide behaupten, der andere sei ein Nachtschatten. Niemand ist mehr sicher, das ganze verdammte Land ist verrückt geworden. Wir hätten Somerstorm nehmen können, aber stattdessen wird es jetzt dem gierigen Sack Balderick und seiner Brut in die Hände fallen.«
    Die anderen Männer nickten. Das Floß war so nahe herangekommen, dass man in ihre Gesichter blicken konnte. Sie wirkten müde und grimmig. Alle fünf trugen Bärte.
    »Balderick gehört dieses Land nicht«, antwortete Ana, »es gehört den Fürsten von Somerstorm.«
    »Die sind doch längst tot, Mädchen«, rief der Sprecher der kleinen Gruppe. »Es hieß, die Tochter sei entkommen, aber seit vier Blindnächten hat man nichts mehr von ihr gehört.«
    Ana bemerkte Jonans warnenden Blick und schwieg. Der Mann schob den Hut in den Nacken. »Ihr seht nach einer ziemlich traurigen Versammlung aus. An wen sollt ihr verkauft werden?«
    »Wir sind keine Sklaven!« Qaru antwortete an Anas Stelle. Die Annahme schien ihn zu ärgern.
    »Was seid

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