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Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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umzudrehen: »Ich glaube nicht, dass du das musst.«
    Er verstand ihre Worte, als sie die Tür öffnete. Schwerer, faulig süßer Geruch schlug ihm entgegen und ließ ihn würgen. Er wandte den Kopf ab, atmete die Luft ein, die von draußen ins Innere der Gerberei drang. Dann folgte er Mamee tiefer in den Raum hinein. Es war dunkel. Licht drang durch einige schmale Spalte im Holz. Moksh hatte die größeren mit Fellresten verstopft, um sich vor der Kälte und dem Wind zu schützen. Gerit wusste das, weil er ihm dabei geholfen hatte.
    Moksh hing an einem Deckenbalken. Seine Augen waren geöffnet und blutunterlaufen. Seine Zunge ragte schwarz und geschwollen aus seinem Mund. Ein Schemel lag umgeworfen unter ihm im Stroh. Gerit bemerkte, dass seine Füße nicht mehr als eine Handbreit vom Boden entfernt waren. Eine Handbreit, die Dicke einer Maka-Wurzel, hatte über Leben und Tod entschieden.
    Gerit fragte nicht, warum Moksh sich das Leben genommen hatte. Der Grund war leicht zu erraten. Er sah auf den Tisch neben der Feuerstelle, wo ein Teekessel und zwei Holzbecher standen. Einer war halbvoll, der andere leer.
    Ich habe ihn umgebracht, dachte er. Als hätte ich ihm ein Schwert in den Leib gerammt.
    Er schloss die Augen, öffnete sie aber sofort wieder, als er Mokshs Gesicht vor der Schwärze seiner Augenlider sah. Er hatte ein Kind umgebracht und einen alten Mann, die Einzigen, die ihm vertraut hatten.
    Gerit blinzelte. »Ich werde ihn abschneiden«, sagte er. Seine Stimme war rau.
    »Nein, er hat dein Mitleid nicht verdient. Lass ihn hängen.«
    »Ich kann ihn noch nicht …« Gerit brach ab und suchte nach Worten. »Er hat sich umgebracht, weil er einsam war, weil ich sein einziger Freund war und ihn wie Luft behandelt habe.«
    Hinter ihm betraten zwei der Wachen die Gerberei. Sie mussten den Gestank bemerkt haben. Einer von ihnen drehte sich um, als er den Toten sah, und übergab sich. Der andere, ein kräftiger Nachtschatten mit fleckigem Fell, klopfte ihm auf den Rücken und grinste.
    »Er hat es verdient, wenigstens würdevoll begraben zu werden«, fuhr Gerit fort.
    »Einen Scheiß hat er«, sagte der Wächter mit den Fellflecken. »Gelebt wie ein Feigling, verreckt wie einer. Nicht schade drum.«
    Die Worte rissen etwas in Gerit auf. Wut stach wie ein Messer in seinen Kopf. Er ballte die Fäuste, hörte sich selbst schreien und spürte, wie dünne, aber kräftige Arme ihn festhielten. Der Wächter griff nach dem Schwert in seinem Gürtel. Der andere, der sich gerade wieder aufrichtete, schüttelte den Kopf. »Lass ihn.«
    Gerit wehrte sich gegen Mamees Griff. Sie taumelte, als er sich gegen sie warf. Gerit prallte gegen Mokshs Beine. Die Leiche begann am Seil vor und zurück zu schwingen. Eine Krallenhand glitt über seine Haare.
    »Was ist hier los?«
    Korvellans Stimme drang durch Wut und Schuld bis in seinen Geist.
    »Nichts«, hörte er Mamee sagen. Sie ließ ihn los. Gerit fing sich mühsam und strich sich die Haare aus dem Gesicht.
    Er zeigte auf die Wächter. Sein Atem ging so schwer, dass er einen Moment brauchte, um etwas hervorzubringen. »Ich dachte, sie hätten mich beleidigt«, sagte er dann, »aber ich habe mich geirrt.«
    Korvellan sah sich in der kleinen Hütte um. Sein Blick glitt über den Tisch, den umgeworfenen Schemel, Gerit und die Leiche, die hinter ihm an ihrem Seil schwang. Dann trat er vor und spuckte Moksh ins Gesicht.
    »Das ist das Einzige, was er je von mir bekommen wird«, sagte er, »und es ist das Einzige, was er von euch allen bekommen sollte.«
    Gerit starrte ihn an. Er hätte nie geglaubt, dass Korvellan in der Lage war, etwas so Barbarisches zu tun. Die beiden Wächter nickten. Nacheinander gingen sie auf die Leiche zu und spuckten sie an. Nur einer von ihnen traf Mokshs Gesicht.
    Mamee ließ Gerit los. Er spürte, wie ihr Blick den seinen suchte, und sah nach unten. Tu es nicht, dachte er. Mamee spie Moksh an. Ihr Speichel lief an seinem Arm hinab.
    Korvellan lehnte sich an den Tisch. »Er hat dich mehr beleidigt als uns alle, Gerit«, sagte er. »Moksh hat sich als dein Freund ausgegeben, weil er wusste, dass du unsere Bräuche nicht kennst. Er hat dich ausgenutzt, und als du das erkanntest, hat er sich mitten in der Festung umgebracht, damit du glaubst, du müsstest dich um ihn kümmern. Aber so schwach bist du nicht mehr, oder?«
    Gerit schüttelte den Kopf. »Er war doch nur ein alter Mann, der …«
    Korvellan unterbrach ihn. »Falsch. Er hat sich entschieden, ein

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