Sturm
taumeln begannen, legten sie ihre ganze Kraft in die Bewegungen. Ana wich einer Stange aus und half ihnen. Den ärgerlichen Blick, den Jonan ihr zuwarf, ignorierte sie. Er hatte geschworen, sie zu beschützen. Sie hatte nicht geschworen, sich beschützen zu lassen.
Einer der Männer ertrank, als Ruderer ihn mit ihren Stangen unter Wasser drückten, die anderen zogen sich auf das Floß vor dem Käfig. Sie holten mit ihren Schwertern aus, als wären es Dreschflegel. Sogar Ana erkannte, dass ihnen der Kampf nicht vertraut war.
Doch die Ruderer schienen noch weniger damit vertraut zu sein. Nach nur wenigen Lidschlägen trieben vier von ihnen bereits tot oder verletzt im Wasser. Zwei hatten ihre Stangen weggeworfen und schwammen auf das Ufer zu. Die anderen kämpften. Einem von ihnen gelang es, mit seinem Holzknüppel einem Angreifer den Schädel einzuschlagen, Jetzt waren sie nur noch zu dritt.
Auch Daneel schien zu erkennen, dass der Ausgang des Kampfes ungewiss war. »Tötet sie!«, schrie er. »Eure Götter sind mit euch!«
Er hatte aufgehört zu schwitzen. Seine Haut spannte sich über seinen Wangenknochen. Seine Rippen und Hüftknochen traten spitz hervor. Ana war nie aufgefallen, wie dünn er war.
Etwas knirschte. Qaru wich von dem Holzstamm zurück, gegen den er sich geworfen hatte. »Ich glaube, er ist locker«, sagte er. »Helft mir.«
Ein Dutzend Hände begannen an dem Stamm zu ziehen und gegen ihn zu drücken. Daneel konzentrierte sich auf die Männer, denen er den Kampf aufgezwungen hatte. Jonan stand neben ihm, die zersplitterte Stange in der Hand. Ana konnte nicht sagen, ob er Daneel schützen oder töten wollte.
Sie zuckte zusammen, als die Deckplanke, in der der Holzstamm gesessen hatte, auseinanderbrach und der Stamm ins Wasser fiel. Das Loch, das er hinterließ, war groß genug für einen Menschen. Qaru war der Erste, der vom Floß sprang. Er hielt die in Leder eingeschlagenen Pergamentrollen hoch über seinen Kopf und stieß den Holzstamm in Richtung des Floßes.
»Kommt!«, rief er. »Wer nicht schwimmen kann, hält sich am Holz fest.«
»Jonan?« Ana sah ihn an. Er zögerte, warf einen Blick auf Daneel, der am ganzen Körper zitternd neben ihm stand und »Tötet sie. Tötet sie alle!« flüsterte, dann auf den Kampf. Nur noch zwei Angreifer standen und drei Ruderer, aber einer von ihnen hatte das Schwert eines Gefallenen aufgenommen und fuchtelte damit herum.
»Du musst ihn nicht umbringen«, sagte sie. Daneel war zu schwach zum Schwimmen, und egal wie der Kampf auch ausging, keiner der Überlebenden würde Gnade zeigen. Die Floßschiffer hatten viel verloren, die Männer, die er beeinflusst hatte, noch mehr.
Jonan nickte. »Ich weiß.«
Daneel beachtete sie nicht, als sie ins Wasser sprangen und auf das Ufer zuschwammen. Ana war nicht mehr geschwommen, seit sie als Kind den Großen Fluss verlassen hatte, aber die Bewegungen fielen ihr leicht. Sie hatte nichts verlernt.
Als sie Schlamm unter den Füßen spürte, drehte sie sich um. Die Floßkette trieb den Fluss hinunter. Die Schatten der Bäume hüllten sie ein, ließen nicht erkennen, ob der Kampf ein Ende gefunden hatte. Sie wandte sich ab und kämpfte sich durch den knöcheltiefen Schlamm ans Ufer.
Jonan half den Gauklern, die sich am Holzstamm festgeklammert hatten. Fyramei sah immer wieder zum Floß zurück. Tränen liefen über ihr Gesicht. Ana hoffte, dass sie nicht um Daneel weinte.
Die Sonne begann bereits hinter den Bäumen zu verschwinden, als der letzte Gaukler den schmalen Uferstreifen zwischen Sumpf und Urwald erreichte. Wolken zogen über ihnen auf. Es sah nach Regen aus.
Qaru stand auf. Seine Hose war voller Sand und grüner Algen. Er räusperte sich. »Wir sollten nach Norden gehen, bis wir die Straße nach Lak-Binnou finden. Ich war dort schon mal, und ich weiß, in welchen Dörfern Menschen wie wir willkommen sind. Was haltet ihr davon?«
»Fürst Baldericks Armee müsste nördlich von hier sein, wenn sie auf dem Weg nach Somerstorm ist«, antwortete Ana vor allen anderen. »Dort muss ich hin.«
Qaru sah sie an. Sein Blick war nachsichtig, beinahe mitleidig, seine Stimme kalt. »Wohin du musst oder willst, betrifft uns nicht mehr. Geh und nimm deinen Leibwächter mit.«
Scham stieg warm in ihr Gesicht. Sie wollte ihm antworten, wollte erklären, was sie sich auf dem Floß zurechtgelegt hatte, aber Jonan kam ihr zuvor. »Du hast Recht. Wir werden einen anderen Weg wählen.«
Er streckte Ana seine Hand entgegen.
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