Sturm
anderen lachten. Gerit wandte sich ab, sah zu den Zelten, die nicht einmal einen Steinwurf entfernt standen. Niemanden schien zu stören, was sich auf der Lichtung abspielte. Soldaten aßen, plauderten, tranken, so unbeteiligt, als würden dort Hühner geschlachtet.
Es sind Tiere für sie, nur Tiere, dachte Gerit. Man zeigt keine Ehre gegenüber Tieren.
Er stutzte, als er einen Offizier mit goldenen Schulterstücken am Rand der Lichtung sah. Trotz des geschorenen Kopfes und des Bartes erkannte Gerit ihn sofort wieder. Es war Rickard. Er stand an einen Karren gelehnt und beobachtete, wie seine Soldaten ein Mädchen töteten. Ab und zu trank er aus einem Weinschlauch.
Gerit würgte und spuckte bitteren Speichel aus, während das Mädchen vor dem Baum offenbarte, dass es kein Fell unter der Haut trug. Mit einer Hand zog er das Pergament aus der Tasche. Sein Schweiß hatte es feucht werden lassen. Es fühlte sich schmutzig an.
Gerit zerriss es, bis nichts übrig blieb außer winzigen Fetzen. Mit den Fingern grub er ein Loch in den Dreck, kehrte die Fetzen hinein und bedeckte sie mit Erde und Blättern. Er bemerkte erst, dass er weinte, als seine Tränen weiße Striemen auf seinen Händen hinterließen. Zitternd wischte er sich über die Augen.
Es raschelte hinter ihm. Gerit fuhr herum.
»Es war nicht leicht, dir zu folgen«, sagte Korvellan. Er stand im Schatten einiger Felsen, dort, wo die Wachen ihn nicht sehen konnten.
Gerit rieb sich die Augen mit dem Handrücken. Er sagte nichts.
Korvellan warf einen kurzen Blick auf die Lichtung, dann senkte er den Kopf. »Keiner von ihnen ist ein Nachtschatten, aber das spielt wohl keine Rolle.« Er streckte Gerit seine Hand entgegen. »Komm. Wir gehen.«
»Damit du mich umbringen kannst?«
»Damit ich dir etwas zeigen kann.«
Hinter Gerit verstummten die Schreie. Er ergriff Korvellans Hand und ließ sich hochziehen. Die Klauen kratzten über seine Haut.
Kapitel 26
Sümpfe sind Orte, in denen sich das Leben nicht entscheiden kann, ob es das Wasser oder das Land bevorzugt. Hier wird der Reisende auf Tiere stoßen, die seine Phantasie beflügeln und seine Augen berauschen. Unglücklicherweise sind die meisten giftig, ungenießbar oder beides.
Jonaddyn Flerr, Die Fürstentümer und Provinzen der vier Königreiche, Band 2
»Wohin willst du gehen?«, fragte Jonan und blieb stehen. Vor ihnen lag eine Straße, das erste Zeichen menschlicher Besiedlung, das sie seit zwei Tagen gesehen hatten. Sie gabelte sich an dieser Stelle. Der Hauptweg verlief von Westen nach Osten, ein schmalerer nach Norden.
Ana strich sich die nassen Haare aus dem Gesicht. Seit dem Morgen hatte es nicht aufgehört zu regnen. »Westen«, sagte sie.
»Fürst Baldericks Armee ist im Norden.«
»Ich weiß.« Sie dachte an ihre Begegnung mit dem Fürsten, einem lauten Mann mit rotem Gesicht, über den ihr Vater gesagt hatte, dass er seinen Reichtum wohl an seine Sklaven verfütterte. Sie war schockiert gewesen, als er damit angab, nie lesen und schreiben gelernt zu haben, und noch entsetzter, als Rickard den gleichen Makel offenbarte – allerdings verschämt, nicht stolz wie sein Vater. Sie hatte Balderick damals nicht gemocht, und so langsam glaubte sie, er sie auch nicht.
»Ohne Rickard wäre ich dort vielleicht nicht willkommen«, sagte Ana. »Ich muss wissen, ob er dort ist, bevor ich mich offenbare.«
Jonan nickte. »Gut.«
Er bog nach Westen ab, Ana folgte ihm. Der Schlamm war glitschig, aber weich unter ihren Fußsohlen. Es tat gut, sich nicht jeden Schritt durch Unterholz und Gestrüpp erkämpfen zu müssen. Sie sah an sich herunter. Ihre Kleidung war zerrissen und schmutzig, ihre Fingernägel schwarz, ihre Haut voller Schlamm und Mückenstiche. Sie hätte alles für einen Platz am Feuer und eine warme Mahlzeit gegeben.
»Wir brauchen Geld«, sagte sie.
»Ich werde arbeiten, sobald sich die Gelegenheit bietet.« Jonans feste Kleidung hatte den Marsch durch den Urwald besser überstanden als ihre eigene, aber auch er war dreckverschmiert, von Mücken zerstochen und müde. Er weigerte sich immer noch, nachts zu schlafen, wachte stattdessen bis zum Morgengrauen über ihren Schlaf, bevor er sich selbst für ein paar kurze Stunden hinlegte. Sie hielt das für albern.
Die Straße wand sich zwischen den Bäumen hindurch. Nebel hing über ihr, Regen fiel in Karren- und Hufspuren, die sich tief in den Schlamm gegraben hatten.
»Sollten wir wirklich auf der Straße bleiben?«,
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