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Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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wie weit er gekommen war. Die Rauchsäule gehörte zu dem Gasthaus, das sich im Sommer um Reisende kümmerte. Er hatte einmal dort übernachtet, zusammen mit seiner Familie. Im Schankraum hatte ein großer schwarzer Hund gelegen, den Ana und er mit Knorpelstücken gefüttert hatten. Er erinnerte sich an den Geruch des Maka-Eintopfs auf der Feuerstelle.
    Sein Magen begann zu knurren. Gerit wandte den Blick von der Rauchsäule und verbannte die Erinnerung an den Ort in seinem Kopf, wo alles endete, das tot und vergessen sein sollte. Dann kletterte er weiter.
    Jemand hatte einen Altar an der Stelle gebaut, an der Somerstorm endete und Braekor begann. Es war nur ein kleiner hölzerner Schrank, in dessen Rückseite die Symbole der Götter Braekors eingebrannt waren, aber Gerit kniete trotzdem davor nieder und presste die Stirn auf das Holz. Vertrocknete Blüten und gebleichte Vogelknochen lagen auf dem Boden verstreut.
    Gerit richtete sich auf. Misstrauen mischte sich in die Erleichterung, die er fühlte. Es erschien ihm seltsam, dass er noch nicht einmal einen Späher gesehen hatte. Woher bezog Korvellan seine Neuigkeiten, wenn niemand an den Grenzen stand?
    Der Pfad führte steil bergab. Gerit folgte ihm noch eine Weile, dann kletterte er durch Sträucher und Ziegengras zur Straße. Der Grenzposten Braekors musste ganz in der Nähe sein.
    Es hatte aufgehört zu regnen. Sonnenstrahlen blitzten zwischen den Wolken auf. Die Straße machte eine langgezogene Kurve, dann sah Gerit die hölzernen Palisaden des Postens – und die Fahne Westfalls, die im Wind flatterte.
    Rickard, dachte er und begann schneller zu gehen. Er spürte den Hunger nicht mehr und auch nicht das Ziehen in seinen Muskeln. Seine Hand tastete nach dem Pergament in der Hosentasche, das den Krieg für Westfall gewinnen würde. Gerit fragte sich, ob Rickard ihn in seiner Armee mitreiten lassen würde. Verdient hatte er es sich.
    Abrupt blieb er stehen. Der Wind drückte gegen seinen Rücken, als wolle er ihn dem Grenzposten entgegentreiben, aber Gerit zögerte. Ist das eine Falle?, dachte er. Korvellan war kein Narr. Würde er es wirklich zulassen, dass sein Feind so dicht vor seinen Grenzen lagerte? Warum hatte er den Posten nicht erobert, nachdem er Somerstorm genommen hatte? Aber vielleicht hatte er genau das getan und die Fahne Westfalls gehisst, um den neuen, unerfahrenen Fürsten Braekors zu verwirren.
    Gerit verließ die Straße und zog sich zurück zwischen die Sträucher. Das Tal, in dem der Grenzposten lag, war so breit, dass er ihn von allen Seiten betrachten konnte, bevor er eine Entscheidung traf. Geduckt schlich er sich heran. Das Tor war geöffnet, Wachen standen auf allen vier Türmen. Er erkannte die Uniform Westfalls. Zelte standen in langen Reihen vor den Palisaden. Soldaten saßen an Feuern, redeten und reinigten ihre Schwerter. Ungefähr ein Dutzend von ihnen baute eine Pferdekoppel aus Pflöcken und Stricken. Gerit schätzte, dass einige hundert Pferde dort grasten. Die Soldaten schienen noch nicht lange an diesem Ort zu lagern.
    Das sind keine Nachtschatten, dachte Gerit. Langsam richtete er sich auf und duckte sich nur einen Atemzug später, als er Schreie hörte.
    In den Sträuchern versteckt umrundete er den Posten ein Stück weiter, bis er die Lichtung dahinter sah. Ein einzelner blattloser Baum stand darauf. Leichen hingen von seinen Ästen. Gerit blickte auf dunkelrotes Fleisch und würgte. Er hatte noch nie jemanden gesehen, der gehäutet worden war.
    Neben dem Baum stand ein Karren, auf dem ein Soldat saß und einen Strick zu einer Schlinge verknotete. Seine Beine baumelten über den verstümmelten Leichen zweier Männer. Ihre Köpfe und Gliedmaßen fehlten.
    Gerit sah sich um, als eine Gruppe Soldaten ein Mädchen auf den Baum zuzerrten. Sie war fast nackt und schrie. Die Soldaten schlugen sie, aber sie schrie weiter. Sie war so schlank und hell wie Mamee.
    Sie häuten uns bei lebendigem Leibe, weil sie glauben, dass wir das Fell innen tragen, hatte ihm Mamee eines Abends mit angstgeweiteten Augen erzählt. Gerit hatte sie ausgelacht. Menschen tun so etwas nicht.
    Die Schreie des Mädchens wurden lauter, als der Soldat mit der Schlinge in der Hand vom Karren sprang und sich ihr näherte. Er legte sie ihr um den Hals und zog sie zu. Das Mädchen begann zu husten.
    Das Pergament drückte gegen Gerits Hüfte. Einer der Soldaten zog ein langes Kürschnermesser aus seinem Gürtel. Der Soldat mit der Schlinge sagte etwas. Die

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