Sturm
eines Menschen und endeten in Klauen, die einem den Kopf abtrennen konnten. Das hatte Gerit selbst gesehen. Glatze hatte keine Haare und kein Fell, nur blasse, fleckige Haut, die hart wie Leder wirkte. Hinker hinkte nur bei Nacht. Ihr rechtes Knie knickte dann nach hinten weg, so als hätte es sich bei der Verwandlung gedreht. Gelbliche Fellflicken ragten wie verdorrtes Gras zwischen ihren Brüsten hervor. Rosthauts Wolfsschädel war nackt und rot wie rostendes Eisen, während Graumähnes dichtes Fell von seinem menschlich flachen Kopf über den Rücken bis zu den Oberschenkeln wuchs.
Gerit dachte an all die Eroberer, die er in der Festung beobachtet hatte. Manche wechselten ihr Gestalt kaum merklich, einige wirkten so fremd, dass er kaum hinsehen konnte. Es gab Eroberer, die bei Nacht nicht sprachen, nur heisere Laute krächzten, solche, die sich die Kleidung vom Körper rissen oder reglos in den Himmel blickten. Er hatte ihnen allen Namen gegeben, nannte sie Drahthaar, Spitzmaul, Muskelarm, Rotauge, Einohr und Kralle. Dabei brauchten sie doch nur einen Namen, den Namen, den sie immer schon getragen hatten.
Nachtschatten.
Unten begann Graumähne Petroleum aus einem Fass auf den Leichenberg zu gießen. Er warf das leere Fass hinterher, dann nickte er jemandem zu, den Gerit vom Dach aus nicht sehen konnte. Eine Fackel flog auf die Leichen. Flammen loderten empor, tauchten den Hof in ein weiches rotes Licht. Das Petroleum verpuffte, dann griff das Feuer auf Kleidung und Haare der Leichen über.
Gerit wich zurück, als warme Luft über sein Gesicht strich. Der Geruch nach verbranntem Fleisch ließ seinen Magen knurren. Die Nase konnte zwischen einem Spanferkel und einem Menschen nicht unterscheiden. Gerit schämte sich trotzdem für seinen Hunger.
Er ging zurück zu dem Unterstand und hockte sich neben den Kohleofen. Es war zu gefährlich, das Dach bei Nacht zu verlassen. Er musste bis zum Morgengrauen warten, wenn es still in der Festung wurde und die Nachtschatten ruhten. Sie schliefen weniger als Menschen, drei, vielleicht vier Stunden am Morgen. Nur die Wachen hielten diesen Rhythmus nicht ein. Die Türme waren stets besetzt, auf den Mauern patrouillierten Bogenschützen, an den Toren standen Lanzenträger. Ihre Blicke richteten sich nach draußen, in die karge Landschaft hinein. Das Innere der Festung beachteten sie nicht. Es gab ja auch keinen Grund dafür. Schließlich gab es hinter ihnen nur Wesen ihrer eigenen Art und die Leichen derer, die sie abgeschlachtet hatten.
Und einen Geist, dachte Gerit.
Er schloss die Augen. Wie jeden Abend stellte er sich vor, er läge in seinem Zimmer auf dem Bett, die Decke bis unter das Kinn gezogen. In seinen Gedanken war er jünger, sechs oder sieben Jahre alt. Seine Mutter saß neben dem Bett. Sie las ihm eine Geschichte über Seefahrer vor, die ihr Land auf der Suche nach Schätzen verließen und Abenteuer fanden. Er hörte ihre Stimme über das Prasseln des Feuers, in dem ihre Leiche verbrannte, hinweg. Er ließ sich von ihr in den Schlaf tragen, geborgen in der Gewissheit, dass die Seefahrer trotz aller Gefahren ihre Schätze finden und nach Hause zurückkehren würden. Alles würde gut ausgehen.
Was nicht stimmte. Nichts davon stimmte. Seine Mutter hatte ihm nie etwas vorgelesen. Als Sklavin hatte man ihr verboten, lesen und schreiben zu lernen, als Fürstin hatte sie es nicht nachgeholt. Und sie hatte nie an seinem Bett gesessen. Dafür hatte es Zofen gegeben. Und natürlich würde nichts gut ausgehen. Nichts ging jemals gut aus. Es ging einfach nur weiter.
Seine eigenen Gedanken wurden Gerit unangenehm. Er öffnete die Augen und bemerkte überrascht, dass die Sonne bereits aufging. Schneeflocken trieben in der kalten, klaren Luft. Die Zwillingsmonde hingen als blasse Sicheln über den Bergen.
Gerit streckte sich, streifte die Decke ab und stand auf. Er urinierte gegen die Mauer des Turms, dann ging er zu einer Regentonne, die am Rand des Daches stand, durchschlug die dünne Eisschicht mit dem Ellenbogen und wusch sich Gesicht und Hände. Das Wasser schmeckte trotz der Kälte brackig. Es hatte seit fast einer Woche nicht geregnet, und auch an diesem Morgen war der Himmel beinahe wolkenlos. Wenn das so weiterging, musste er Zugang zu frischem Wasser finden.
Er sah zum Hof hinunter. Rauch stieg immer noch von den verkohlten Leichen auf. Asche bedeckte die Steine wie grauer Schnee.
Gerit ging zurück zu seinem Unterstand. Er zog die Schublade unter dem Kohlesieb
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