Sturm
ist, die zu schützen, die mir anvertraut wurden«, sagte Gerit. Seine Lehrer hatten ihm erklärt, welche Pflichten und Privilegien ein Herrscher gegenüber seinen Dienern hatte. »Du bist mein Sklave. Also trage ich die Verantwortung für dich.«
»Aber es geht mir doch gut, ich …«
»Keine Diskussionen«, sagte Gerit scharf. »Du wirst tun, was ich sage.« Er hatte oft gehört, wie seine Mutter auf diese Weise mit Sklaven redete.
Vrenns Schultern sackten herab. Sein Blick richtete sich auf den Boden. Gerit fragte sich, wie die letzten zwölf Tage wohl für ihn gewesen waren. Vielleicht hatte ihm zum ersten Mal in seinem Leben niemand gesagt, was er durfte und nicht durfte. Vielleicht hatte ihm das gefallen.
»Ist das klar, Vrenn? Ja oder nein?«
»Ja.« Der Junge hielt nur mühsam seine Tränen zurück. »Ja, Minherr.«
»Gut.« Gerit atmete tief durch. Ich werde ein Held sein.
Es war Gerits erste warme Mahlzeit, seit er auf dem Dach lebte. Vrenn hatte einen Topf und ein paar Holzlöffel aus der Küche mitgenommen und auf dem Kohleofen eine Suppe aus Brot, Zwiebeln und Regenwasser gekocht. Sie schmeckte nach nichts, aber sie wärmte den Körper und vertrieb die Kälte der Nacht. Gerit aß, bis er nicht mehr konnte, dann schob er Vrenn den Topf zu. Es gehörte sich nicht, dass Herr und Sklave ihre Mahlzeiten gemeinsam einnahmen.
Gerit rülpste und blinzelte ins Sonnenlicht. Der Morgen war fast vorüber, bald würden die Nachtschatten aufwachen.
»Du hast dich die ganze Zeit in den Wänden versteckt?«, fragte er.
Vrenn schluckte hastig. »Ja, Minherr.«
»Was ist mit deinen Eltern?«
»Ich weiß nicht. Sie wurden vor langer Zeit in die Minen geschickt. Ich kann mich kaum an sie erinnern.« Er begann den Topf mit seinem Löffel auszukratzen.
»Dann haben sie wohl was Schlimmes getan«, sagte Gerit.
»Ja, Minherr. Das sagt der Bäcker auch. Er sagt, wenn ich Bäcker lerne, kann ich immer in der warmen Küche schlafen und habe auch immer was zu essen. Dann werde ich nichts Schlimmes tun.« Er zog die Nase hoch. Seine Augen füllten sich mit Tränen. »Aber der Bäcker ist tot. Wo soll ich jetzt hin?«
Es dauerte einen Moment, bis Gerit erkannte, dass die Frage sich an ihn richtete. Nervös wischte er sich die Hände an der Hose ab.
»Nun«, sagte er dann, »erst mal bleiben wir hier. Wir werden warten, bis unsere Verbündeten eine Armee aufgestellt haben und die Festung zurückerobern. Wir werden zusehen, wie sie die Nachtschatten vom Nordturm hängen und verfaulen lassen, bis sie abfallen.«
Vrenn grinste. »Die Möwen werden ihre Augen fressen.«
Gerit nickte. »Bei lebendigem Leib.«
Er verdrängte Norhans Behauptungen über die Unangreifbarkeit der Festung. Der General hatte sich schon einmal geirrt, wieso also nicht ein zweites Mal.
»Und was ist mit mir?«, fragte Vrenn.
»Du …« Gerit hatte keine Ahnung, was mit einem Sklaven geschehen würde, wenn die Nachtschatten vertrieben worden waren. Wahrscheinlich würde sein Leben so weitergehen wie zuvor. Er spürte, dass Vrenn auf eine andere Antwort hoffte.
»Du …«, wiederholte er. Ihm kam eine Idee. »Du bist ab jetzt mein persönlicher Diener. Du wirst mir helfen, mich beraten, für mich kochen. Und wenn du deine Arbeit gut machst und ich zufrieden bin, schenke ich dir das Siegel, wenn hier alles vorbei ist.«
»Das Siegel?« Vrenns Augen wurden weit. Also das war es, worauf er hoffte. Das Siegel des Fürsten, das ihn jedem gegenüber als freien Mann auswies. Es war das größte Geschenk, das ein Herr einem Sklaven machen konnte.
»Wenn ich zufrieden mit dir bin.«
»Das wirst du, Minherr.« Vrenn ging auf die Knie und presste die Stirn gegen den Boden. »Ich verspreche es.«
Er wird alles tun, was ich will, dachte Gerit. Das war eine seltsame, fast schon unheimliche Erkenntnis. Du musst nicht vor mir knien, wollte er sagen, ich bin nicht mein Vater, aber er schwieg.
Vrenn hob den Kopf nach einer Weile. »Bist du noch hungrig? Ich kann mehr Suppe kochen.«
»Nein, ich hatte …«
Dumpfes Trommelschlagen unterbrach ihn. Gerit stand auf, lief geduckt zum Rand des Dachs und sah auf den Hof. Ein Nachtschatten, der auf dem südlichen Wachturm, direkt neben dem Haupttor, Wache hielt, schlug ohne jeden Rhythmus mit der flachen Hand auf eine Trommel. Eine zweite Wache begann ebenfalls zu trommeln, dann waren es drei, vier, bis jeder Nachtschatten, der auf den Türmen und Mauern stand, auf eine Trommel einschlug und das Geräusch
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