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Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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worüber.
    Der Weg durch den Wald war breit, und die meisten Baumwurzeln und Kaninchenbauten waren Craymorus so vertraut, dass er sie mühelos überwand. Trotzdem war seine Stirn schweißnass, als sich die Bäume lichteten und er aus dem Wald heraus auf den Kieselstrand trat.
    Die See lag glatt vor ihm. Zwischen den Inseln gab es fast keinen Seegang, selbst während der Winterstürme flossen die Wellen nur träge über die Strände. Die äußeren Inseln, die wie Festungen auf einem langgezogenen Riff saßen, zähmten die Wildheit des Ozeans. Die Varna nannten sie die Wächter. Auf den kargen, menschenleeren Felsen der Inseln beteten sie zu ihren Göttern.
    Penyas Boot lag auf dem Kieselstrand. Es war beinahe so flach wie ein Floß. In seinem breiten Heck lagen Körbe für den Krebsfang. Es gab kein Segel, nur zwei lange Stangen, mit denen sich die Fischer vom Meeresboden abstießen. Zwischen den Inseln war das Wasser so flach, dass man im Sommer zu Fuß bis zu den Hütern gehen konnte.
    Craymorus stieg in das Boot, setzte sich auf die einzige Holzbank und legte die Krücken neben sich. Rickard und Penya schoben das Boot ins Wasser, bis es ihnen bis zur Brust reichte, dann sprangen sie selbst hinein. Es schwankte bedenklich. Wasser schwappte über die niedrige Reling ins Innere. Penya stieg an Craymorus vorbei über die Holzbank und griff nach einer der Stangen. Das nasse Hemd klebte an ihrem Körper. Ihre Brüste zeichneten sich deutlich darunter ab und ihr kleiner, spitzer Bauch. Craymorus sah rasch zur Seite.
    Rickard schüttelte Wasser aus seinen Haaren. »Brauchst du Hilfe?«, fragte er. Craymorus wollte verneinen, bemerkte jedoch rechtzeitig, dass sich die Frage nicht an ihn gerichtet hatte.
    »Nein«, sagte Penya, während sie sich mit dem Oberkörper gegen die Stange stemmte. »Setz dich hin, bevor du noch das Boot umwirfst.«
    »Natürlich.« Rickard warf Craymorus einen entschuldigenden Blick zu, dann setzte er sich neben ihn auf die Holzbank. »Tut mir leid.«
    Craymorus nickte und schwieg. Er hatte längst erkannt, dass Menschen sich gut fühlten, wenn sie auf einen Krüppel Rücksicht nahmen.
    Die Fahrt zur Hauptinsel dauerte keine halbe Stunde. Craymorus blinzelte in die Nachmittagssonne, als die hölzernen Gebäude der Schule vor ihm auftauchten. Die Schule lag auf den Hügeln oberhalb eines namenlosen Dorfes. Die Varna gaben ihren Städten keine Namen, nur ihren Häfen. Dieser Hafen hieß »Ruhestätte der Zweitausend«. Einer der Meister hatte Craymorus erzählt, der Name ginge auf eine Flotte zurück, die vor langer Zeit am Riff zerschellt war. Angeblich waren mehr als zweitausend tote Seeleute und Soldaten in dieser Bucht angetrieben worden. Die Fischer, die hier lebten, hatten die Leichen geplündert und den Hafen zu ihrem Gedenken errichtet.
    Nur wenige Fischerboote lagen festgebunden an den Anlegestellen. Um diese Zeit waren die meisten draußen auf dem Wasser. Penya lenkte das Boot auf den Pier zu und bremste es mit der Stange ab. Leicht schlug es gegen das von Muscheln und Algen überzogene Holz. Rickard sprang auf den Pier und band das Boot mit einem Seil fest. Craymorus griff nach seinen Krücken. Er spürte, wie Penya ihn zu stützen versuchte, sagte aber nicht, wie unangenehm ihm das war.
    »Keine Sorge, gleich bist du an Land«, sagte sie.
    »Ich habe keine Sorge.«
    Craymorus spürte Rickards Arme unter seinen Schultern, dann wurde er auch schon aus dem Boot gehoben. Er bemerkte einen jungen Fischer, der ungefragt herüberkam und Craymorus am Gürtel nach oben zog. Er stank nach Fisch und Algenschnaps.
    »Danke«, sagte Craymorus, als er wieder auf seinen Krücken stand. Der Fischer streckte ihm die Hand in einer fordernden Geste entgegen. Craymorus ignorierte ihn. Neben ihm begann Penya den Mann im kaum verständlichen Dialekt ihres Volkes zu beschimpfen. Der Fischer spuckte aus und kehrte zu seinem Boot zurück.
    »Ich warte hier auf euch«, sagte Penya. Craymorus nickte und wandte sich ab. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass Rickard ihr etwas zuflüsterte und ihr dabei kurz über den Rücken strich. Dann schloss er zu Craymorus auf.
    »Ich besorge uns einen Karren«, sagte er und lief auf den kleinen Platz am Anfang des Piers zu, wo von Menschen oder Ochsen gezogene Karren auf Kunden warteten. Er wirkte nervös. Craymorus ahnte, warum, und er fragte sich, warum es ihn so enttäuschte, dass Rickard und Penya miteinander schliefen.
     
     
    Sie entschieden sich für einen Holzkarren,

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