Sturm
Hand wieder aufzufangen. Der Beutel fiel zu Boden, neben seine abgeschlagene Hand. Einen Moment lang starrte der Händler mit weit aufgerissenen Augen auf seinen Arm. Blut spritzte aus dem Stumpf über sein Gesicht. Er begann zu schreien. Der Soldat schlug ihm mit dem Schwertknauf gegen den Kopf. Die Klinge war voller Blut.
Die Schreie verstummten. Der Händler fiel lautlos vom Pferd und blieb im Staub liegen. Sein Hut lag neben ihm. Die Pfauenfedern wippten auf und ab.
Die anderen Händler wichen zurück. Soldaten trieben sie mit ihren Pferden weiter ins Tal, riegelten die Straße hinter ihnen ab.
»Ihr seid hier und hier bleibt ihr, bis wir euch rauslassen!«, rief der Soldat mit der blutigen Klinge in die Menge. »Ist das klar?«
Niemand wagte es, ihn anzusehen.
»Was für ein Narr«, sagte Jonan. Er sah in die Berge hinauf und schüttelte den Kopf. »Wir sitzen fest.«
Ana zog die Kapuze tief in ihr Gesicht. Vor ihr wurden die Barrikaden geöffnet. Ein Ochsenkarren fuhr hindurch, dann schlossen sich die Schranken wieder.
Nur eine Frage der Zeit, dachte Ana.
Und dann sah sie ihn.
Er saß auf einer Holzbank und aß Suppe aus einem Napf. Die Tätowierungen in seinem Gesicht bewegten sich bei jedem Bissen. Seine zahnlosen Kiefer mahlten.
»Da.« Sie berührte Jonans Arm. »Der Gaukler.« Sie versuchte sich an seinen Namen zu erinnern. »Daneel. Er heißt Daneel.«
»Wo?« Jonan richtete sich in den Steigbügeln auf.
Daneel sah im gleichen Moment auf. Sein Blick traf Anas. Sie sah die Überraschung darin, die Verwirrung und dann die Entschlossenheit, als er den Napf zur Seite stellte und auf die Bank stieg.
»Ich habe etwas mitzuteilen!«, rief er. Seine hellen Augen richteten sich immer noch auf Ana. Sie sah nicht zur Seite. Neben ihr zog Jonan seine Schwerter.
Kapitel 10
Ein Hauch von Größe liegt über den Hügeln Westfalls. Wer über die alten Straßen reitet, kann sich dem Gedanken nicht verschließen, dass nur die Zeit ihn von all den Königen und Helden trennt, die einst die gleichen Wege nahmen.
Jonaddyn Flerr, Die Fürstentümer und Provinzen der vier Königreiche, Band 2
Rickard von Westfall war kein geduldiger Mann. Es behagte ihm nicht, in einer Kutsche zu sitzen und sich dem Ziel entgegentragen zu lassen. Er wollte handeln, irgendetwas tun, selbst wenn es nur darin bestanden hätte, einem Pferd die Sporen zu geben.
»Es macht mir wirklich nichts aus, allein zu reisen«, sagte Craymorus. Den gleichen Satz hatte er in den letzten zwei Tagen fast ein Dutzend Mal gesagt. »Du kannst ruhig vorausreiten.«
»Nicht nötig. Wir sind sowieso bald da.«
»Wirklich?«, fragte Craymorus. Er zog den Vorhang zur Seite und sah aus dem Fenster. Staub drang in die Kutsche ein, legte sich auf seine Hände und sein Gesicht.
Sie saßen einander gegenüber, Rickard mit dem Rücken zum Kutschbock, Craymorus in Fahrtrichtung. Es gab keine weiteren Fahrgäste. Die Soldaten hatten dem Kutscher befohlen, niemanden sonst mitzunehmen. Je weniger Reisende, desto schneller die Fahrt. Der Kutscher hatte gehorcht. Rickard würde dafür sorgen, dass er im Schloss entsprechend entlohnt wurde.
Niemand soll je bereuen, auf meiner Seite zu stehen, dachte er.
»Wo genau sind wir?«, fragte Craymorus. Der Staub auf seinem Gesicht ließ ihn noch blasser wirken als sonst.
Rickard zog eine Klappe hinter sich auf. Der Fahrtwind wehte ihm die Haare in die Stirn. »Wo sind wir?«, rief er dem Kutscher zu.
»Zwei Meilen hinter Bancoon«, rief der Mann zurück. Er hatte sich einen Schal um den Kopf gebunden, der nur die Augen frei ließ. Das Frühjahr war die trockenste Zeit im Westen Westfalls und die staubigste.
Rickard schloss die Klappe und strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Das heißt, wir werden heute noch ankommen«, sagte er. Endlich, fügte er in Gedanken hinzu.
»Dann könnten wir vielleicht einen kurzen Umweg machen.« Craymorus ließ den Vorhang zufallen. »Wenn es nicht zu viel Mühe macht natürlich. Es würde höchstens ein oder zwei Stunden dauern.«
»Wo willst du denn hin?« Die Aussicht, noch zwei Stunden in der Kutsche zu verbringen, verlieh seiner Stimme eine ungewohnte Härte.
»Die Ruinen von Rascone«, sagte Craymorus. »Es ist ein Umweg, ich weiß, aber ich würde dir gerne etwas zeigen.«
»Ich kenne die Ruinen, Cray.« Zu jeder Sonnenwende und zu jedem Zwillingskuss, die Nächte, in denen die Monde so dicht zusammenstanden, dass sie eins zu werden schienen, brach Rickards
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