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Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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lollu.« Sie schüttelte den Kopf. »Kein lollu.«
    Die Frauen schienen ihr nicht zu glauben. Eine sagte etwas, die anderen lachten und nickten zustimmend. Ana tat so, als würde sie auch das nicht verstehen. Sie fühlte sich plötzlich unwohl in der Gruppe und war froh, als der Junge sie mit seinen Rufen ablenkte.
    Er winkte Jonan zu. »Hey«, rief er. »Weiß Wort. Ghay logaj lange warten wegen ghay logaj.«
    Jonan beugte sich über einen Gerüstbalken. »Und?«
    Der Junge grinste. Er wirkte stolz. »Lange warten wegen Straßensperre. Ghay logaj – Straßensperre.«
    Ana schnitt sich in den Daumen.
     
     
    »Wir müssen zurück nach Braekor.«
    »Nein, wir gehen nach Westfall. Ich will Braekor nie wieder sehen!« Ana saß auf der strohgefüllten Matratze. Sie hatte die Beine angezogen und die Arme um die Knie geschlungen.
    Jonan saß auf dem Boden des kleinen Zimmers. Einer der Bauern hatte ihnen erlaubt, die Nacht dort zu verbringen. Das Grinsen, mit dem er auf die breite Matratze gezeigt hatte, war Jonan wohl entgangen, Ana aber nicht. Sie fragte sich, warum sie überhaupt interessierte, was die Bauern dachten.
    »Ich gehe nicht nach Braekor«, wiederholte sie.
    Schon während des Abends, als sie noch mit den Familien zusammensaßen und aßen, hatte sie versucht, Jonan auf die Straßensperre anzusprechen, aber er hatte abgewunken. »Später«, hatte er geflüstert, »wenn wir allein sind.«
    Nun waren sie allein.
    »Wir können nicht weiter, Mefrouw.« Jonan sprach langsam, als glaube er, Ana beherrsche seine Sprache ebenso wenig wie die Bauern. »Es ist die einzige Straße. Soldaten haben sie abgesperrt. Wir müssen zurück. Niemand wird uns in Braekor vermuten.«
    »Das ist mir egal. Ich will weiter.« Ana strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Was ist, wenn es doch noch eine andere Straße gibt? Diese Bauern wissen auch nicht alles.«
    »Sie haben es mir auf der Karte gezeigt.«
    »Du hast selbst gesagt, dass die Karte schlecht ist.« Sie wusste, dass sie jedes seiner Argumente im Ansatz ersticken musste, sonst würde er sie vielleicht noch überzeugen. Der Gedanke an die Straßensperre machte ihr mehr Angst, als sie zugab.
    Jonan lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Er hatte seine Decke vor der Tür ausgebreitet, wie immer, wenn sie in geschlossenen Räumen übernachteten. »Wir müssen nicht in Braekor bleiben. Wir warten ab, bis die Suche abgebrochen wird, dann kehren wir hierher zurück.«
    »Und woher willst du wissen, dass die Straße nach Braekor nicht auch gesperrt ist?« Ana sah, wie Jonans Augen zuckten. Daran hatte er wohl nicht gedacht. Sie trieb die Idee weiter. »Vielleicht haben sie uns in Ashanar eingekesselt und warten nur darauf, dass wir zurückkehren.«
    »Es gibt mehr als eine Straße nach Braekor.« Er klang unsicher.
    »Nicht auf der Karte. Oder traust du der Karte nur, wenn es in deine eigenen Pläne passt?« Ana streckte das Kinn vor. Schnell, dachte sie, bevor ihm etwas Neues einfällt. »Ich bin die Fürstin von Somerstorm«, sagte sie im Tonfall ihrer Mutter, »und ich befehle dir, dass wir der Straße nach Westen folgen. Wirst du dich diesem Befehl widersetzen?«
    Lange Zeit sagte er nichts, saß nur da, den Rücken an die Wand gelehnt, den Blick auf das Fenster gerichtet. Dann nickte er.
    »Mefrouw.« Er sah sie an. Die Enttäuschung in seinem Gesicht erschreckte sie.
    Am nächsten Morgen brachen sie nach Westen auf.
     
     
    Der Pfad, auf dem sie ritten, wurde zum Weg und dann zur Straße. Träge zog die Landschaft an Ana vorbei. Wiesen, Felder, ein gelegentlicher Altar am Wegesrand und die Berge, an deren Hängen Dörfer wie dunkle Kletten hingen.
    Es war eine viel bereiste Straße. Bauern schoben Karren voller Getreidesäcke und Obstkisten vor sich her, Händler ritten auf mit Blumen geschmückten Pferden vor ihren Kamelkarawanen her. Söldner, die hochgestreckte Lanzen trugen, umgaben sie wie Palisaden. Sie zogen an überladenen Ochsenkarren vorbei. Radmacher, Jäger, Wahrsager und Schwertkämpfer ritten zwischen ihnen hindurch und priesen ihre Dienste an. Fast alle reisten gen Westen. Kaum jemand zog in die andere Richtung.
    Ana sah sich um. »Fällt dir etwas auf?«, fragte sie. Seit dem Morgen versuchte sie immer wieder, Jonan in eine Unterhaltung zu verstricken. Bisher war es ihr nicht gelungen.
    Auch dieses Mal antwortete er nicht, aber sein Blick glitt über die anderen Reisenden.
    »Keine Flüchtlinge«, sagte Ana. »Hier sind keine Somer. Wahrscheinlich hat man

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