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Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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inzwischen die Grenzen abgeriegelt.«
    »Oder es gibt keinen Grund zu fliehen.« Es war das Erste, was Jonan an diesem Tag sagte. Ana blinzelte in die untergehende Sonne.
    »Keinen Grund zu fliehen?«, fragte sie. »Ihre Fürsten sind ermordet worden. Würde dir das keine Angst machen?«
    »Vielleicht macht es in ihrem Leben keinen Unterschied, wer sie regiert.«
    Es war eine unverschämte Antwort. Ana wollte ihn im ersten Moment zurechtweisen, schwieg dann jedoch. Sie dachte an das Mädchen, das jetzt ihr Kleid trug, und an den Mann, der mit ihr in dem Unterstand lebte. War es ihnen egal, welches Herrscherhaus die Festung bewohnte, welche Allianzen dort geschmiedet wurden, wer lebte und wer starb? Der Gedanke verstörte sie.
    »Zieht Eure Kapuze über und senkt den Kopf«, sagte Jonan plötzlich. Sie gehorchte, ohne nachzudenken. Er ergriff die Zügel ihres Pferdes und ritt langsam weiter. Ana wagte es nicht aufzusehen. Ihr Blick konzentrierte sich auf die staubige Straße und die Flanken ihres Pferdes.
    Schwere Rüstung klirrte neben ihr. Aus den Augenwinkeln sah sie Lederstiefel in Steigbügeln und blank polierte Beinplatten. In einer Metallhalterung steckte der hölzerne Schaft eines Speers.
    Soldaten.
    Die Patrouille zog langsam an ihr vorbei. Ana schloss die Augen, wartete auf einen Warnruf, der ihr unvermeidlich erschien. Man würde sie entdecken. Sie wusste, dass es so war.
    Doch nichts geschah. Die Patrouille verschwand aus ihrem Blickwinkel. Nur wenige Herzschläge später stoppte Jonan die Pferde.
    »Wir sind da«, sagte er. Seine Stimme klang dumpf unter ihrer Kapuze.
    Ana hob den Kopf. Sie hatten eine Biegung hinter sich gelassen und standen in einem breiten Tal, dessen Seiten von Bergen eingeschlossen wurden. Die Straße führte mitten hindurch und mündete in einer Schlucht. Zumindest nahm Ana das an, denn der Eingang der Schlucht wurde von hölzernen Barrikaden versperrt. Die Fahnen Braekors wehten darauf. Sie zählte mehr als drei Dutzend Soldaten. Einige durchsuchten einen Ochsenkarren, andere saßen auf Pferden und beobachteten die Wartenden. Die Berge warfen schwarze Schatten über sie und raubten ihnen die Gesichter.
    Die ehemals grünen Wiesen des Tals hatten sich in einen Morast verwandelt. Überall saßen und standen Menschen. Eine Ziegenherde fraß die letzten Büsche kahl, Kühe und Hunde wanderten zwischen Zelten umher. Einige Lagerfeuer brannten. An der Straße standen zwei Frauen und verkauften mit lauten Rufen Eichhörnchenfleisch und Bier.
    »Das müssen Hunderte sein«, flüsterte Ana. »Das alles wegen mir?«
    »Ja.« Jonan reichte ihr die Zügel ihres Pferdes. »Was habt Ihr denn gedacht?«
    Eine weitere unverschämte Bemerkung, auf die sie keine Antwort wusste. Was sollen wir jetzt tun?, wollte sie fragen, doch laute Rufe hinter ihr unterbrachen sie.
    »Es ist mir egal, was ihr hier macht! Meine Waren werden in Westfall erwartet. Ich habe keine Zeit für diesen Unsinn.«
    Ana drehte sich im Sattel um. Ein Stück hinter ihr sprach ein Händler mit einer Gruppe von sechs Soldaten. Es war ein junger Mann, der einen langen Pelzmantel trug und einen Hut mit Pfauenfedern. Die Federn wippten auf und ab. Sein Pferd tänzelte nervös.
    Einer der Soldaten antwortete. Ana verstand nicht, was er sagte. Der Händler schüttelte den Kopf. »Im Auftrag des Fürsten von Braekor?«, rief er und breitete die Arme aus, als wolle er die Menschen, die um ihn herumstanden, in seinen Streit einbeziehen. »Aber hier ist nicht Braekor. Hat euch das denn niemand gesagt? Ihr habt kein Recht, uns aufzuhalten. Wir haben alle wichtige Geschäfte.«
    Einige Händler nickten, andere stimmten mit Rufen zu. Der Soldat, mit dem er gesprochen hatte, kratzte sich unter seinem Helm am Kopf.
    »Wisst ihr was?«, sagte der Mann mit dem Pfauenhut, bevor der Soldat antworten konnte. »Wieso regeln wir das Ganze nicht wie vernünftige Leute? Wir wollen nicht hier sein, ihr wollt nicht hier sein, da sind wir uns doch einig.«
    Die Soldaten sahen sich an. Sie schienen nicht zu wissen, was er damit sagen wollte.
    »Tu es nicht«, flüsterte Jonan.
    Der Mann griff in seine Satteltasche und zog einen schwer aussehenden Geldbeutel heraus. »Hier drin ist mehr, als eure ganze Truppe in einem Monat verdient. Es gehört euch, wenn ihr einfach bis morgen früh die Augen schließt. Wenn ihr sie wieder aufmacht, sind wir weg, und ihr habt ein Problem weniger. Was meint ihr?«
    Er warf den Geldbeutel in die Luft, um ihn mit der rechten

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