Sturm
stellen.
»Komm, wir sehen uns die Vorstellung an«, sagte Ana.
Jonan blieb stehen. »Das ist gefährlich.«
»Nein, ist es nicht. Sie werden sich die Gaukler ansehen, nicht das Publikum.« Sie drehte sich zu ihm um. »Ein wenig Freude wird uns beiden guttun.«
»Wenn Ihr meint?«
Sie fanden einen Platz hinter der letzten Stuhlreihe. Händler, die sich Bierfässer auf den Rücken geschnallt und Krüge in ihre Gürtel gehakt hatten, drängten sich an ihnen vorbei. Um sie herum wurde gegessen, getrunken und geredet.
Auf dem abgezäunten Platz bereiteten sich die Gaukler auf ihren Auftritt vor. Sie hatten Fackeln in den Boden gerammt und Kisten aufgestellt. Zwei von ihnen spannten ein Seil zwischen zwei Bäume. Ana versuchte ihre Gesichter zu erkennen. Als Kind hatte sie oft davon geträumt, mit Gauklern über das Land zu ziehen und die Geheimnisse ihrer Künste zu erlernen. Sie hatte sich all die exotischen Orte vorgestellt, die sie besuchen würde, Namen, die sie nur von Karten kannte: Ashanar, Dul'Medin, Katrar, Boshalam. In ihren Träumen war sie in die Gemeinschaft der Gaukler aufgenommen worden, hatte ihre Familie verlassen, um mit ihnen zu ziehen. Sie hatten gewusst, wer sie war, aber es niemandem verraten. Und natürlich hatte es einen Helden unter ihnen gegeben, der sie aus allen Gefahren gerettet und mit dem sie alle Abenteuer überstanden hatte.
Sie dachte an Rickard, wollte dem Helden aus ihren Träumen sein Gesicht geben, doch sie konnte sich kaum noch daran erinnern, wie er aussah.
Auf dem Platz beendeten die Gaukler ihre Vorbereitungen. Ana sah, wie Daneel mit jedem einzelnen von ihnen sprach und sich dann auf den einzigen leeren Stuhl zwischen den Soldaten setzte. Der Kommandant klopfte ihm auf die Schulter und sagte etwas. Daneel antwortete, und der Kommandant lachte so laut, dass die anderen Soldaten sich gezwungen fühlten mitzulachen.
Dann begann die Vorstellung. Zuerst trat ein Zauberer auf, der Dinge mit unbeholfenen Bewegungen verschwinden ließ und behauptete, ein Magier zu sein. Niemand glaubte ihm. Die Musikanten, die nach ihm spielten, beherrschten ihre Instrumente, doch ihre Stimmen waren schwach. Trotzdem sangen die Zuschauer bei fast allen Liedern mit. Es gab keine wilden Tiere, nur einige Gänse, die wie Soldaten marschierten und mit ihren Flügeln salutierten, zumindest bis ein Hund aus dem Publikum auf den Platz stürmte und sie auseinandertrieb.
Nach den Gänsen trat ein Dichter auf, der ein langes, leicht anzügliches Gedicht vortrug, das kaum jemand verstand. Ana seufzte, als er sich endlich verbeugte, und stützte die Arme auf die Stuhllehne. Sie begann zu bedauern, dass sie Jonan zu der Vorstellung überredet hatte. Aber sie sagte nichts.
Nachdem der Seiltänzer zweimal vom Seil gefallen war, traten die Narren auf. Sie zeigten die gleichen alten Kunststücke, die Ana schon seit ihrer Kindheit kannte. Den Mann in der Röhre, den einarmigen Flötenspieler, die blinde Hure und den einfältigen Bauern. Die Zuschauer beschwerten sich nicht, die Soldaten lachten sogar, auch wenn Ana den Eindruck hatte, dass das am Bier und an Daneels Unterhaltung lag. Er stand im Mittelpunkt, redete, gestikulierte, scherzte.
Die Narren beendeten ihren Auftritt mit einem Witz, den Ana schon ihrem Bruder erzählt hatte. Sie drehte sich zu Jonan um.
»Ich glaube nicht, dass es noch bes…« Sie unterbrach sich. Jonan stand neben ihr, die Arme vor der Brust gekreuzt, den Kopf in den Nacken gelegt, den Mund geöffnet.
Er lachte.
Kapitel 13
Überall in Westfall stößt man auf Relikte und Ruinen der Vergangenen. Es ist daher kein Wunder, dass der Glaube an die, die uns ihren Platz in der Welt vermachten, hier besonders stark verbreitet ist. Ebenso wenig sollte es den Reisenden überraschen, dass man vielerorts auf ihn herabsehen wird, sonnt sich doch selbst der ärmste Tagelöhner in uraltem Ruhm.
Jonaddyn Flerr, Die Fürstentümer und Provinzen der vier Königreiche, Band 1
Bei Sonnenaufgang standen die Soldaten zum Abmarsch bereit. Die Offiziere saßen auf schwarz-blau bemalten Pferden, die schwarz-blaue Decken trugen. Ihre Mähnen und der Schweif waren zu Zöpfen geflochten, ihre Hufe glänzten. Die Köpfe der Generäle waren mit der gleichen schwarz-blauen Farbe bemalt, die rechte Seite blau, die linke schwarz. Sie alle hatten sich die Köpfe geschoren, ebenso wie die anderen Offiziere, die Sklaven und die Soldaten, die noch in ihren Kasernen warteten. Oso hatte erklärt,
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