Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
Vom Netzwerk:
dies sei Brauch in Westfall.
    Craymorus rückte seine Krücken zurecht. Er stand zwischen Beamten und ihren Dienern. Die Beamten hockten auf Teppichen, die Sklaven knieten auf den Steinen. Mit der Stirn berührten sie den Boden, die Arme waren ausgestreckt. Ihre Bäuche flossen wie Wachs über ihre Beine. Sie beteten. Craymorus stand als Einziger. Er hatte den Eindruck, dass ihn alle beobachteten.
    Priester gingen durch die Reihen der Offiziere. Sie vertraten alle Religionen, die in Westfall ansässig waren. Fürst Balderick hatte ihnen befohlen, ihre Riten gleichzeitig durchzuführen, um Zeit zu sparen. Das Resultat war ein Gewirr von Gesängen und Segnungen. Mit Dreck beschmierte Priester, die in Felle gehüllt waren, strichen mit Tierknochen über die Gesichter der Soldaten, während Mönche der Vergangenen ihnen Flaa-Wurzeln in die Münder steckten und Seherinnen ihre Hände in Blut tauchten. Pferde tänzelten nervös. Ein kleines Mädchen in den grünen Roben einer Fruchtbarkeitsgöttin küsste ihre Nüstern.
    »Ich muss mit dir reden«, sagte eine Stimme plötzlich.
    Craymorus drehte den Kopf. Im Lärm der Gebete hatte er nicht bemerkt, dass jemand neben ihn getreten war. Es war Rickard. Seine Gesichtszüge waren unter der blau-schwarzen Farbe kaum zu erkennen. Er trug eine Rüstung aus schwarzem Leder und Stiefel, deren Sporen klirrten.
    »Worum geht es?«, fragte Craymorus.
    »Komm mit.« Rickard führte ihn an den Soldaten vorbei neben die Stallungen. Craymorus spürte die Blicke der Beamten in seinem Rücken.
    »Es tut mir leid, dass mein Vater so reagiert hat«, fuhr Rickard fort. »Ich wollte gestern noch mit dir darüber reden, aber ich hatte zu viel zu tun.«
    Er strich sich mit der Hand über den kahl geschorenen Kopf und stutzte kurz, als sei ihm das Gefühl noch nicht vertraut.
    »Ich verstehe«, sagte Craymorus. Er war sich sicher, dass Rickard früher zu ihm gekommen wäre, wenn er es tatsächlich gewollt hätte. »Ich werde die Gastfreundschaft deines Hauses nur so lange beanspruchen, bis ich auf die Inseln zurückkehren kann.«
    Rickard schüttelte den Kopf. »Nein, tu das nicht. Dieser Krieg braucht deine Unterstützung, auch wenn mein Vater das nicht erkennt.« Er zog eine Pergamentrolle aus der Innentasche seiner Rüstung. »Und ich brauche dich für etwas anderes.«
    Craymorus nahm das Pergament und rollte es auseinander. Es war eine Vollmacht über Rickards Vermögen. Das fürstliche Siegel und die kindliche Unterschrift daneben waren frisch.
    »Cray, ich möchte, dass du Ana für mich findest. Ich habe mit einer der Seherinnen gesprochen, und sie ist sich sicher, dass Ana noch lebt.« Er strich sich wieder über den Kopf. Schwarze und blaue Farbe vermischte sich, wurde zu dunklen Flecken. »Ich will nicht, dass sie da draußen stirbt. Wirst du mir helfen?«
    Craymorus rollte das Pergament auseinander. Seine Gedanken sprangen vorwärts wie ungezügelte Pferde, nahmen die Aufgabe voller Freude an, noch bevor er eine Antwort formuliert hatte.
    »Ich bin froh«, sagte er nach einem Moment, »dass du mir diese Aufgabe anvertraust. Ich werde alles in meiner Kraft Stehende geben, um dich und deine Braut zusammenzuführen.«
    Er streckte seine Hand aus. Rickard schlug ein und grinste. Seine Zähne leuchteten weiß in seinem dunklen Gesicht. »Ich danke dir, Cray. Wenn du Neuigkeiten hast, schick einen Boten nach Braekor. Wir werden so schnell vorstoßen, dass uns vorher keine Nachrichten erreichen können.«
    »Das werde ich tun.« Craymorus steckte die Rolle in die Tasche. »Wirst du mit deinem Vater gemeinsam kämpfen?« Er kannte die Antwort längst, konnte das aber nicht preisgeben.
    »Nein. Wir brechen gemeinsam auf für den Fall, dass Spione in der Stadt sind. Sie werden ihren Herren melden, dass eine große Armee mit Belagerungsgeräten, Infanterie und schweren Geschützen auf dem Vormarsch ist. Aber wir werden uns trennen, die Reiter werden unter meinem Kommando bis Somerstorm reiten, die Nachtschatten überraschen und sie aus der Festung locken. Hoffentlich.« Sein Lächeln wirkte nervös. »Mein Vater wird mit der Hauptstreitmacht nachziehen. Wenn ich versagen sollte, wird er gegen einen geschwächten Gegner antreten; sollte ich gewinnen, wird diese Armee unseren Anspruch auf das Land festigen. Es ist ein kluger Plan.«
    Er sah zum Haupteingang der Burg und nickte jemandem zu. »Ich muss gehen. Danke, Cray.«
    »Leb wohl, Rickard.«
    Craymorus drehte sich um. Fürst Balderick war mit

Weitere Kostenlose Bücher