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Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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durch den Raum – »den Käse haben, wenn du …«
    »Westfall.«
    Craymorus blinzelte überrascht.
    »Kann ich jetzt den Käse haben, Herr?«, fragte Oso. Gier stand in seinem Gesicht.
    »Ja, natürlich, aber erklär mir zuerst, woher du das wusstest.«
    »Das war leicht«, sagte Oso. »Neben dem Punkt sind die Farben Westfalls, und da ist ein Bild von der Burg mit einer Krone wie die von Fürst Balderick.«
    »Richtig. Nimm den Käse.«
    »Danke, Herr.« Oso griff mit beiden Händen nach dem Käsestück und biss hinein. »Das ist sehr großzügig von Euch, Herr«, sagte er kauend. »Wir kriegen selten Käse, meistens nur Schweinebauch und Bohnen.« Er schluckte, als ihm plötzlich etwas klar zu werden schien. »Wofür wir unserem Herrn natürlich sehr dankbar sind. Vielen Dienern geht es schlechter als uns. Er ist der gütigste Herr, den man sich wünschen kann, mögen die Vergangenen ihn beschützen.«
    Craymorus hörte ihm kaum zu. Mit jedem Blick auf die Karte bemerkte er neue Details. Dem ursprünglichen Künstler war es gelungen, eine Karte zu erschaffen, die keine Sprache außer ihrer eigenen benötigte. Es gab Symbole für steile Straßen und Pässe, die im Winter unpassierbar waren. Schiffe wurden vor stürmischen Regionen gewarnt und vor Ungeheuern, die sie auf den Grund der See ziehen würden. Craymorus entdeckte Hinweise auf Fischschwärme, auf Orte, an denen Fremde willkommen geheißen wurden, und auf solche, von denen man sich besser fernhielt. Er lachte, als er ein Symbol entdeckte, das wohl auf eine stürmische Schiffspassage mit möglicher Seekrankheit hinwies.
    Selbst ein Sklave wie Oso, der Westfall noch nie verlassen hat, kann diese Karten lesen, dachte Craymorus. Die Leistung beeindruckte ihn. Sogar das Jahr ihrer Anfertigung verrieten ihm die Symbole: das achtzehnte Jahr während der Regentschaft des Lachenden Königs, also noch vor dem Krieg. Die Königreiche waren seitdem verschwunden, und die Provinzen hatten ihre Grenzen neu gezogen, doch das Land war geblieben. Die Karten würden ausreichen.
    Craymorus sah auf. Sein Sklave stand am Fenster, einen letzten Käserest in der Hand. Er sah nach draußen und kaute.
    »Du kannst gehen«, sagte Craymorus. »Ich brauche dich bis Sonnenuntergang nicht.«
    Osos Blick war weiter in den Burghof gerichtet. »Jemand kommt, Herr«, sagte er.
    Im gleichen Moment wurde ein Horn geblasen. Sein tiefer Ton hallte in den Räumen wider. Er kündigte die Ankunft eines Freundes oder Verbündeten an und befahl allen Wachen, ihre Waffen zu senken.
    Craymorus stemmte sich hoch. »Wer ist es?«
    »Ich weiß es nicht, Herr.« Oso trat zur Seite, um den Blick auf den Hof freizugeben. Es war Mittag. Die Tore der Burg standen offen, Diener gingen ein und aus. Einige blieben stehen, um die weiß verhangene Sänfte zu betrachten, die von vier Sklaven an ihnen vorbeigetragen wurde. Zwei Soldaten marschierten im Gleichschritt vor ihr, zwei weitere hinter ihr.
    Die Sänfte vom Schiff, dachte Craymorus. Es war eine so ungewöhnliche Art zu reisen, dass es wohl kaum eine zweite im Fürstentum gab. Er drehte sich um und ging zur Tür. Oso lief vor, zog die Tür vor ihm auf und schloss sie hinter ihm wieder. Nur wenige Sklaven waren in den Gängen zu sehen. Der Besuch, ob erwartet oder nicht, schien keine Aufregung auszulösen.
    Craymorus verließ die Burg durch den Haupteingang und zog sich die Stufen der Treppe hinunter. Die Träger setzten die Sänfte ein Stück entfernt von ihm ab. Eine Silhouette war hinter dem weißen Stoff zu sehen. Zwei der vier Soldaten blieben neben ihr stehen, die Hände auf ihre Schwerter gelegt. Die beiden anderen traten Craymorus entgegen, als wollten sie ihm deutlich machen, dass er nicht näher kommen sollte.
    »Mein Herr wünscht Fürstgemahlin Syrah zu sprechen«, sagte der ältere der beiden. Er sprach undeutlich, wie ein Mann ohne Zähne.
    Craymorus sah zuerst ihn an, dann den jüngeren Soldaten neben ihm. Beide hatten eingefallene Wangen und faltige Lippen.
    Ewige Garde, dachte Craymorus. Er nickte Oso zu. »Schnell«, sagte er leise. »Hol die Fürstin.«
    »Was soll ich ihr denn sagen, Herr?«, flüsterte Oso. Er klang ängstlich.
    Craymorus betrachtete den Schatten hinter den Stoffen. Er glaubte zu sehen, wie er den Kopf drehte, und verneigte sich, so tief es seine Krücken zuließen.
    »Sag ihr«, antwortete er dann laut, sodass man es im ganzen Hof hören konnte, »dass der König nach Westfall gekommen ist.«

 
    Kapitel 14
     
    Wein

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