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Sturmauge

Sturmauge

Titel: Sturmauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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Stimme und der heiße Gestank des Pferdes waren alles, was sie erkannte, bis der Tumult plötzlich hinter ihnen zurückblieb und sie begriff, dass sie entkommen waren. Sie befanden sich in Sicherheit. Erst da erinnerte sie sich, viel zu klar und deutlich, an den Anblick des fallenden Ganas, und er traf sie wie eine scharfe Klinge in den Bauch. Als der Soldat schließlich anhielt und ihr erlaubte, vom Sattel zu gleiten, spürte Natai die Hände gar nicht, die ihr auf die Beine halfen. Das Stimmengewirr klang entfernt. Fragen, Rufe, Befehle, all das verblasste im Angesicht dieses Schmerzes in ihrem Bauch zur Nichtigkeit. Sie fiel auf die aufgeschlagenen Knie und übergab sich einmal, dann erneut. Aber der Schmerz des Verlustes verging nicht.
     
    Hoheprieser Antil blieb an der Tür zu seiner persönlichen Kammer stehen und linste um den Türpfosten herum, auch wenn er sich
dabei albern vorkam. Er war zwar der oberste Kleriker Shotirs, des Gottes der Heilung, aber sein Tempel in Byora wirkte bescheiden  – und so war auch sein Zimmer entsprechend klein. Normalerweise wurde die Hälfte der Nordwand von einem großen Fenster eingenommen. Aber seit der dramatischen Ankunft seiner Patientin hatte man dieses mit Tuch verhängt. Es gab ein kleines Fenster auf der Seite, durch das ein wenig blasses Winterlicht hereinkam, doch Antil hatte trotzdem eine Kerze mitgebracht.
    Jetzt stell dich nicht so an , tadelte er sich selbst , sie ist deine Patientin, um Himmels willen! Die Ermahnungen hatten wenig Erfolg. Er fühlte sich dennoch als Eindringling. Er vergewisserte sich, dass keine Priester oder Novizen ihn beobachteten. Andere Leute kamen selten auf die obere Ebene des Tempels. Sie wussten, dass dies sein höchsteigener Bereich war, wo er seine Gedanken ordnete und nach der Arbeit im Hospital auf der unteren Ebene ausruhen konnte.
    Antil war ein Mann mittleren Alters, von durchschnittlicher Größe, licht werdendem Haar und etwas rundlich um die Hüfte  – eine Berufserkrankung der Priester des Shotir. Zumindest war dies bei denen so, die heilen konnten. Heilmagie verursachte Heißhunger, und nur Antils Eitelkeit hatte dafür gesorgt, dass es nicht überhandnahm. Anders als bei den meisten anderen in seinem Orden beulte sein Bauch die gelben Roben nur in bescheidenem Maße aus und ein ordentlicher Bart verbarg sein Doppelkinn. Gegen die Sorgenfalten konnte er jedoch nichts unternehmen.
    Er musste sich zwingen, die Kammer zu betreten, doch kaum war er über die Schwelle geschritten, da übernahmen schon alte Angewohnheiten die Führung. Sie reagierte sehr empfindlich auf Licht, darum ging er um das Bett herum und hockte sich vor sie. Sie schlief nicht, war aber so misstrauisch wie ein verletztes Tier, und er achtete darauf, sie noch nicht zu berühren. Sie musste
zwar schwer verletzt sein, aber dennoch war sie von einer Göttin berührt worden und er wollte vermeiden, sie zu erschrecken. Stattdessen blieb er eine Weile dort sitzen und betrachtete ihr Gesicht, fasziniert von ihrem Geheimnis.
    Die Frau drehte den Kopf mit einem leisen Wimmern und sah ihn an, wobei die merkwürdigen Augen nach kurzer Zeit sein Gesicht fanden. Sie waren dunkelgrün und strahlten mit einem inneren Leuchten, das Antil an den Jadering erinnerte, den seine Mutter bis zu ihrem Todestag getragen hatte. Das Gesicht der Frau war von blauen Flecken und Kratzern übersät, aber die Schwellung schien bereits zurückgegangen. Wenn die Verfärbungen erst verschwanden, wäre sie gewiss eine außergewöhnliche Schönheit.
    »Nun, meine Liebe, wie geht es dir heute Morgen?«, fragte er sanft, erwartete aber keine Antwort. Sein magisches Talent war so wenig bemerkenswert wie er selbst, und nur das Heilen hatte er wirklich gemeistert. Aber seine schwachen Sinne waren gut genug, um sich ihretwegen Sorgen zu machen.
    Das einseitige Gespräch diente nur zu seiner eigenen Beruhigung, half ihm, seine Gedanken beieinanderzuhalten, damit er sich auf das Heilen konzentrieren konnte. Auch wenn er bisher nur wenig erreicht hatte, zum einen, weil der göttliche Funke in ihr stärker als der jedes Priesters war und sich gegen Shotirs Werk stemmte, zum anderen aber auch, weil es über die Macht der Sterblichen hinausging, die Verkrüppelten zu heilen.
    Antil ließ einen warmen Strom aus Energie in ihren Körper strömen, um sie zu beruhigen, streichelte dann so lange ihre Hand, bis sie sich nicht mehr dagegen wehrte. Nachdem sie keine Angst mehr hatte, zog er ihre Decke ein

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