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Sturmauge

Sturmauge

Titel: Sturmauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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größten Straßen von Acht Türme, wo die reichen Bürger im Schatten des Rubinturms lebten, und ein drittes lag in der Wand, die Hale von Bierbruch trennte, wo die meisten Bürger wohnten.
    Meist nutzte sie am Gebetstag das Königinnentor und folgte dann der Straße in einem weiten Bogen bis zu den Tempeln
Ushulls, Tods und Belarannars, um dann noch ein kurzes Gebet in Kitars Tempel zu sprechen – dies war ihre eigene kleine Tradition, an der sie festhielt, lange nachdem jede Hoffnung erloschen war, die Göttin der Fruchtbarkeit könnte ihre Gebete erhören.
    Wenn die Gaffer bei der ersten Begegnung auf eine dramatische Entwicklung gehofft hatten, so wurden sie jetzt bitterlich enttäuscht. Rund ein Dutzend Pönitente stand am Tor, aber Kayel beachtete ihren Versuch, den Durchgang zu versperren, gar nicht. Sie versuchten offensichtlich, im Weg zu stehen und so einen Angriff der Wachen zu erzwingen oder aber sie zurückzuhalten. Doch Kayel trieb sein Pferd an, bemerkte ihre Anwesenheit vorgeblich gar nicht, und die Männer mussten beiseitespringen, um nicht niedergetrampelt zu werden.
    Nachdem sie das Viertel betreten hatten, zwang sich Natai dazu, nicht in die Gesichter zu starren, die ihnen entgegenblickten. Aber als sie bemerkte, wie viele grau gekleidete Pönitente Tods sich auf der Straße versammelt hatten, bekam sie es etwas mit der Angst zu tun – und sie waren nicht die Einzigen. Hale war eine eigene Gemeinde, eine kleine, eigenständige Stadt, die auf einer Hochebene mit einem Durchmesser von knapp zwei Dritteln einer Meile lag. Nicht alle Bewohner waren Kleriker, aber sie hatten doch alle mit dem Geschäft der Verehrung zu tun, und wenn man Natai den Tod von Hohepriester Lier vorwarf, so würden sich alle gegen sie verbünden.
    »Ushull, Tsatach, Nartis, Belarannar, Ilit – die meisten der großen Kulte haben Männer angeworben«, sagte Ganas so leise, dass nur Natai es hörte. »Wir sollten froh sein, dass der Tempel von Karkarn hier zu klein ist, um eine wirkliche Rolle zu spielen.«
    Sie nickte und hielt die Augen auf der Straße. Mit jedem Augenblick wuchs ihr Unwohlsein. Gruppen kapuzentragender Gestalten standen drohend in Seitenstraßen und beobachteten sie, einige folgten ihnen sogar so dicht auf, dass es die Männer
unruhig werden ließ. Eine tiefe Stille folgte ihrer Gruppe auf dem Weg nach Hale hinein.
    Das Ganze erinnerte Natai an einen Traum aus ihrer Kindheit: Sie war von gesichtslosen Gestalten umgeben, die reglos wie Statuen dastanden. Wolken rasten über sie hinweg, während der Anführer ihrer Folterer, ein in Weiß gekleideter Riese, mit anklagendem Finger auf sie wies. Gleichgültig wohin sie sich auch wandte, sie konnte der Last dieser Geste nicht entkommen. Jetzt fühlte Natai eine ähnliche Beklemmung. Der Weg zum Tempel Ushulls war nicht weit, aber auf Natai wirkte es, als seien sie eine Stunde oder länger unterwegs.
    Wie viele Ushull-Tempel stand dieser den Elementen offen, aber die Erbauer hatten offensichtlich versucht, Schwarzzahn hier nachzuahmen, indem sie einen zehn Schritt hohen, mit Kristall- und Obsidiansplittern bedeckten Obelisken in der Mitte des ovalen Tempels errichtet hatten, der durch die obere Etage ragte. Diese wiederum befand sich auf vier großen Säulen, die für die Viertel der Runden Stadt standen: Byora, Akell, Fortin und Ismess. Ushull war streng genommen ein Aspekt von Belarannar, und darum war der Tempel genau eine Elle kürzer, niedriger und schmaler als der Tempel Belarannars.
    Die Tradition verlangte, dass sich Natai unter die Tropfen kniete, die stetig vom Schrein Kiyers, der Göttin der Sturzflut, fielen, so dass sie auf ihre Stirn trafen. Dann würde sie eine silberne Wasserwaage opfern und um eine weitere Woche ohne Hochwasser beten.
    Anschließend würde sie am anderen Ende des oberen Stockwerks eine frisch gepflückte Blume als Gabe an Parss, Ushulls wankelmütiges Kind, ablegen, der Steinlawinen den Hang hinabrutschen ließ. Der Schrein des letzten der drei Aspekte Ushulls befand sich auf der unteren Ebene und war eine enge Höhle aus Lehm, die man so heiß wie einen Bäckerofen hielt. Dort müsste
sie ein weiteres Stück Kohle ins Feuer legen, um Cambrey Raucher zu besänftigen, den Zerstörer, der unter dem Berg ruhte.
    Bevor sie den Tempel erreichte, sah Natai, dass Kayel, der vorausgeritten war, von einer Gruppe aufgebrachter Priester aufgehalten wurde. Von überall wurden sie beobachtet, aus dem Tempel sogar mit unheilvollen

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