Sturmauge
Tore offen zu lassen und eine größere Anzahl Männer in die Stadt zu schicken. Trotz Kiyars Sturzflut wollte Ilumene nicht, dass sich das Volk von seinen nichtkirchlichen Herrschern im Stich gelassen fühlte. Über die Jahre hatte man die Straßen der Stadt so gebaut, dass man die Flut sicher ableiten konnte. Er war zuversichtlich, dass der Kampf wie von Azaer geplant verlaufen und nicht lange währen würde. Wichtiger war noch der Eindruck, den die Leute in Bierbruch, Rad und Brand von diesem Tag gewännen, denn dies
würde sie auf jenen Tag vorbereiten, an dem sie sich für eine Seite entscheiden mussten.
»Und wenn man die Garnisonsmannschaft aufreibt?«, fragte der Oberst.
»Das wird nicht geschehen«, sagte Ilumene selbstsicher. Er betrachtete die Männer, die sich auf der Mauer und im Hof versammelt hatten. Er hatte jeden irgendwie tauglichen Diener in eine Uniform gesteckt und einige auf der Mauer postiert, andere hatten den Befehl bekommen, ziellos herumzugehen. Gleichzeitig versteckte sich der Großteil der Rubinturmwache oder gab sich mit verborgenen Waffen als Diener aus.
»Sie werden die Leiche der Herzogin sehen wollen, bevor sie etwas anderes unternehmen. Trefft Euch unter weißer Flagge mit ihnen und sagt den Wachen, sie sollen sich ergeben. Die Söldner, die sie angeheuert haben, sind immer noch bei klarem Verstand, auch wenn die Priester selbst es nicht sein sollten, darum werden sie zögern. Wir halten uns von den Toren fern und versuchen nicht, sie zu schließen.« Er wies auf die größte Gruppe echter Soldaten: »Schickt sie auf die andere Seite des Anwesens, fernab der Tore.«
»Aber wenn wir sie alle hereinlassen, dann sind sie doch in der Überzahl«, sagte Feilin und wirkte noch immer unglücklich. »Das ist doch der Grund dafür, dass wir diese List überhaupt versuchen …« Wie die meisten seiner Kameraden mit Litse-Blut in den Adern war er von heller Haut und hatte helles Haar, weshalb er in seiner tiefroten Uniform bleich wirkte.
»Wenn Ihr sie nicht wegschickt, wird offensichtlich, dass wir auf den Angriff vorbereitet sind. Oder habt Ihr eine Einheit Weißaugen bereitstehen, von der ich nichts weiß?« Ilumenes schroffer Ton reichte aus, um Furcht in Feilins Gesicht zu zaubern. Unruhig trat er von einem Bein auf das andere, als täten ihm die blauen Flecke erneut weh.
»Nein, natürlich nicht.«
»Dann bieten wir ihnen einen Platz, an den sie sich zurückziehen können. Das Tor ist ein Nadelöhr – und vielleicht haben wir ja sogar das Glück einer Flut.«
Bei der Erwähnung von Kiyers Sturzflut warf Feilin einen nervösen Blick zu den Klippen, die hinter dem Rubinturm aufragten. Das Donnern war bereits abgeebbt, aber die Wolken über dem Schwarzzahn wirkten dunkler als je zuvor.
»Ich denke, sie werden bleiben und kämpfen.«
»Auch gut. Dann werden sie von drei Seiten angegriffen werden.«
»Was ist mit den Magiern? Sie verfügen sicher über viel mehr als wir.«
Ilumene nickte. Da sprach Oberst Feilin einen wichtigen Punkt an – wenn dies normale Umstände gewesen wären. Ihre Feinde hatten keinen Magier von der Macht eines Peness, aber sie hatten mit den versammelten Magiern aller Kulte in Byora die Macht der Menge auf ihrer Seite.
»Peness, Jelil und Bissen können nicht gegen alle ankämpfen, das ist richtig«, stimmte er zu.
»Wie sieht dann Euer Plan aus?«
»Mein Plan, Sir?«, fragte Ilumene mit einem wölfischen Grinsen. »O nein, nicht mein Plan, Euer Plan . Ich habe mir nur die Freiheit genommen, Eure Befehle vorauszuahnen. Die drei Magier befinden sich in einem der östlichen Zimmer des Turms. Die meisten Kampfmagier müssen ihren Feind sehen können, um etwas wirklich Schlimmes anzurichten.«
»Welchen Nutzen haben sie dann, wenn sie auf der falschen Seite des Turms sind?«, fragte der Oberst verwundert, und war noch immer verzweifelt bemüht, die Absichten seines Untergebenen zu verstehen.
»Sie werden sich verstecken, so weit entfernt, dass die Priester
keine Falle wittern.« Ilumene drehte sich um und zeigte auf den Turm. Er war ein riesiges Bauwerk, nicht so groß wie der Turm Semars in Tirah, aber viel mächtiger. Er hatte eine sechseckige Form und war treppenförmig aufgebaut. Die erste Stufe hatte die Größe eines Palastes und dickere Wände als die meisten Burgen, um das Gewicht zu halten, das auf ihnen lastete. »Die Kammer der Herzogin«, sagte er. »Ich habe gehört, sie sei vor Jahren umgebaut worden.«
»Der frühere Herzog hat sie
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