Sturmauge
vorweg.
Bernstein richtete sich auf. »Hat es denn einen Sinn? Das ist doch Elfisch, oder?«
»Soweit ich sagen kann, nein, und natürlich wirkt Magie hier nicht.«
»Warum sollte man es dann auf Elfisch schreiben?« Er runzelte die Stirn. »Ich dachte, man benutzt diese Sprache nur für Magie, da sie am besten dafür geeignet ist, die Magie zu kanalisieren? Man schreibt doch keine Geheimnisse in dieser Sprache auf und stellt sie dann in eine verdammte Bibliothek, in der sich die Bücher und Gelehrten finden, die man für eine Übersetzung braucht.«
»Es ist augenscheinlich ein Gedicht, aber so verworren, dass es vermutlich eine verschlüsselte Nachricht enthält. Sie nennen es das Geheimnis des Herzens.«
Bernstein sah seinen Lord an. Plötzlich stellten sich die Härchen in seinem Nacken auf, wie sie es stets taten, wenn er die Kontrolle über eine Situation verlor.
Welcher Eroberer würde sich schon von einer Bibliothek, und sei sie noch so großartig, ablenken lassen? Bei Karkarns Horn, ist die Eroberung vielleicht gar nicht unser Ziel?
»Habt Ihr es entschlüsselt?«, fragte Bernstein heiser.
Lord Styrax lächelte auf eine Weise, die er noch nie bei ihm gesehen hatte, und die eine aufrichtige Freude ausdrückte. Das große Weißauge zeigte seine wahren Gefühle selten, und so war Bernstein überrascht, als Styrax sagte: »Damit fange ich heute an. Meine Nachforschungen brachten keine Abschrift zutage. Ich habe nur gehört, dass die Verschlüsselung zwar unglaublich schwer zu überwinden ist, sich dann aber eine überraschende Wahrheit offenbart. Die wenigen Leute, die es bisher entschlüsselt hatten, weigerten sich allesamt, die Antwort preiszugeben und zerstörten lieber ihre Unterlagen.«
»Und jetzt wollt Ihr Euch daran versuchen?«, fragte Bernstein. Herzog Vrill hatte einst gesagt, dass Lord Styrax auch dann ein berühmter Gelehrter geworden wäre, wenn er nicht als Weißauge oder Magier geboren worden wäre.
Styrax nickte. »Wie sollte ich einer solchen Herausforderung
widerstehen? Da ich keine Abschrift finden konnte, habe ich mich mit dem Gegenstand selbst beschäftigt. Ich vermute, dass derjenige, der die Nachricht verschlüsselte, nie damit gerechnet hat, dass jemand dem Geheimnis unter praktischen Gesichtspunkten begegnen könnte.«
Bernstein war verwirrt. Lord Styrax wollte sicher auf etwas hinaus, aber Bernstein hatte keine Ahnung, was es war. Er wollte, dass Bernstein etwas begriff, zu dem ihm noch weitere Hinweise fehlten.
»Ich habe mir ihre Aufzeichnungen angesehen«, fuhr Styrax nach einem Augenblick fort. »Es gibt Hinweise darauf, dass das Herz des unbekannten Soldaten darin eingeschlossen ist, aber es gibt keine Erklärung dafür, warum er sein Herz für diesen Zweck hergeben sollte. Außerdem hat hier laut eines uralten Berichts Deverk Grast einige Tage verbracht, nachdem er Ismess geschliffen hatte und während das geschah, was er Höhepunkt und Ende der Reinigung nannte. Eines Nachts trat er durch diese Tür, beendete das Gemetzel und begann stattdessen damit, den Langen Marsch vorzubereiten, der einen Wendepunkt in der Geschichte unseres Stammes darstellte. Das ist alles sehr merkwürdig, findest du nicht?«
Bernstein zuckte hilflos die Achseln. »Äh, ja, Herr, ich denke schon.«
Jedes Menin-Kind wusste über den Langen Marsch Bescheid, dem Auszug der Menin in den Ring des Feuers. Fast die Hälfte starb auf der zweijährigen Reise durch die Brache, und über den Grund für Grasts Entscheidung gab es nur Vermutungen oder vorgegebene Meinungen.
Lord Styrax klopfte ihm auf die Schulter. »Keine Sorge, du musst nicht hierbleiben und mir dabei helfen, die Schriften zu entschlüsseln. Sag mir nur, was nicht warten konnte.«
Bernstein sah sich um. Gesh, das geflügelte Weißauge, stand
neben einem der Bücherregale, so dass seine Federn darüberstrichen, und beobachtete sie ausdruckslos. Bernstein räusperte sich und versuchte so leise zu sprechen, wie es in diesem widerhallenden Raum überhaupt möglich war.
»Es gibt mehrere sehr wichtige Dinge. Zuerst: Es haben weitaus mehr Leute den Sturz Screes überlebt, als wir geahnt haben, zum Beispiel Haipar, die Gestaltwandlerin. Ich war sicher, dass sie gestorben ist, aber nun ist sie eine Amme in den Diensten der Herzogin.«
Lord Styrax lachte laut auf. Das Geräusch hallte durch den Saal, aber als die Anwesenden verwundert aufsahen, war das Gesicht des Lords schon wieder ausdruckslos. Bernstein errötete, als sei er selbst
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