Sturmauge
einen Weg finden. Vor allem, weil Azaer in Byoras Politik eine sehr prominente Stellung einnimmt. Jeder Bericht aus Narkang
warnte uns davor, den Verstand König Emins zu unterschätzen, ganz unabhängig davon, wie viel Pech wir hatten, als wir ihm den Weißen Zirkel auf den Hals hetzten.«
Styrax dachte mit einem angedeuteten Lächeln nach, dann sagte er: »Ich vermute, dass der Schatten zu schlau ist, um das gleiche Kunststück zweimal zu versuchen, und er ist auch zu schwach, um sich Vorhersehbarkeit erlauben zu können. Der mächtige Mann kann die Türen seiner Feinde einschlagen. Der Schwache aber muss sich für jede einzelne ein neues Vorgehen einfallen lassen.
Ich denke, wir sollten uns mit dem kleinen Schlingel treffen, der dir so ähnlich sieht.« Er schlug Bernstein mit der großen Hand auf die gepanzerte Schulter. »Es wird Zeit für das Mittagessen, Oberst.«
30
Der mehr als fünfzig Schritt breite und acht Stockwerke hohe Palast der Gelehrten wurde immer beeindruckender, je näher Bernstein herankam. Er war aus weißem Marmor errichtet, der sich von dem dunklen Fels des Schwarzzahns abhob. Am Ende der oberen sechs Stockwerke befanden sich offene Umläufe, die von einem gemeinsamen Balkon verbunden wurden. Darauf stand ein gutes Dutzend Männer und Frauen aus verschiedenen Reichen, die ihre Ankunft beobachteten. Dunkelhaarige Farlan in den traditionellen Hemden mit weiten Ärmeln standen neben in Fell gehüllten Chetse-Gelehrten – aber er konnte nur die Hälfte von ihnen zuordnen. Die wenigen Blonden wirkten nicht wie Litse, vermutlich kamen sie eher aus den westlichen Staaten. Wie es schien, wusste der Stamm, der die Aufgabe erhalten hatte, die Bibliothek zu bewachen, ihren Wert nicht recht zu schätzen.
Schweigend ging er neben Lord Styrax einher, und ihre geflügelte Eskorte folgte nach. Die Schreie der Vögel in der Luft über ihnen waren die einzigen Lebenszeichen, die er hörte. Er sah sich um und entdeckte im hinteren Bereich des Tals weiße Flecken, vielleicht Schafe oder Ziegen, und zwei Reihen von etwas, das er für Hühnerställe hielt, die unter einem Überhang standen. Die Bibliothek der Jahreszeiten konnte sich selbst besser versorgen,
als er vermutet hatte. Zwischen den Felsen gab es sogar einige Felder, auf denen Weizen angebaut wurde.
Vielleicht können sie sich aber auch nur nicht darauf verlassen, dass Ismess sie versorgt.
Die Quartiere für Besucher der Bibliothek lagen in den oberen sechs Stockwerken des Palastes der Gelehrten. In geringem Abstand führten Türen auf den Balkon jedes Stockwerks; so kam man in kleine, schmucklose Gasträume. Das Erdgeschoss wurde wohl von der Küche beherrscht. Es war doppelt so tief wie die anderen Stockwerke und verfügte über eine gewaltige Terrasse, die in den Farben derer geschmückt worden war, die Lord Styrax bei dem ausgerufenen Mittagessen Gesellschaft leisten sollten.
Eine Balustrade aus weißem Stein umgab die Terrasse. Die Säulen zeigten Menschen und Tiere in unterschiedlicher Haltung. Tod und Ilit befanden sich an den Ecken, und die ausgestreckten Hände hielten eine breite Schiene, unter der die Menschen lebten und starben. Die meisten Statuen des Gottes waren bemalt oder aus dunklem Fels gefertigt, aber die in einen Kapuzenmantel gehüllte Gestalt Tods war ebenso weiß wie die übrigen Statuen. Und das wirkte auf Bernstein irgendwie falsch.
Der mit Fängen bewehrte Schädel Lord Styrax’ bestimmte die Mitte des Balkons und blickte ins Tal hinab. Zu seinen Seiten befanden sich Lord Celaos Pfeilbündel und der Rubinturm, der Natai Escrals Familienwappen darstellte. Dem Schädel gegenüber befand sich das Runenschwert der Ritter der Tempel, und zwar ohne jedes weitere Zeichen. Verwendeten die Ritter der Tempel keine persönlichen Wappen oder hatte Kardinal Sourls Stellung sich vor kurzem erst geändert?
Unter jedem Wappen stand ein langer Tisch, so dass sich ein an den Ecken offenes Viereck ergab. Litse-Diener deckten den
Tisch für ein formelles Mahl und Bernsteins Laune wurde schlechter, als er die Zahl der Gedecke an Lord Styrax’ Tisch zählte. Wenn sich Lord Larim nicht zu ihnen gesellte, was der Magier wohl kaum tun würde, so wusste Bernstein schon, wer auf diesem Platz sitzen würde.
Als hätte er die Gedanken des Soldaten gelesen, zeigte Lord Styrax auf eine offene Treppe in der Nähe, von der aus ein Diener ihn beobachtete. Er hatte langes, goldenes Haar und ein freundliches Gesicht.
»Deine Kleidung wurde auf
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