Sturmauge
Männer auf den Beinen. Er hatte sie in den letzten Wochen hart angetrieben, doch die Erschöpfung
war nicht der einzige Grund für die schwer lastende Stille. Es war gut, dass sich Lord Isak fernhielt, denn es gab nach dem Einbruch der Nacht bereits genug Tod.
Zur Linken flackerten die Feuer von Lord Isaks Armee. Einer seiner Gehilfen hatte sie scherzhaft als das zeitweilige Farlan-Heer bezeichnet. Die Kleriker mochten das Wort Kreuzzug nicht. Trotz ihres Hasses und ihrer Wut hatten sie angenehmere Worte geprägt: Soldaten der Götter, Verteidiger des Glaubens, sogar spirituelle Gesandte. Jeder Kult und jede Strömung hatte einen eigenen Namen und eine andere Vorstellung vom Ziel des Ganzen. Das stieß Torl ebenso bitter auf wie ihr Beharren darauf, dass sie wegen allem und jedem befragt werden wollten, sogar bei der Truppenversorgung.
»Mein Lordprotektor«, rief Leutnant Zaler, während er zu ihm eilte. »Guten Morgen, Herr.«
»Ist es denn ein solcher?«, grollte Torl. »Schwer zu sagen.«
Zaler zögerte. »Äh, was von beidem, mein Lord?« Er war ein junger Mann, der Neffe eines Vetters von Torls Frau, und immer noch seltsam ernst, obwohl er schon mehr als ein Jahr Torls Gehilfe war. Er war klein und schlank – er würde nie ein guter Kämpfer werden – und das versuchte Zaler auszugleichen, indem er sich zuverlässig, hilfreich und hochwirksam einsetzte. Leider fehlte ihm der gesunde Menschenverstand eines Soldaten und jede Spur des üblichen Soldatenspotts.
»Gut oder Morgen?«, wiederholte Zaler aufgeregt.
»Stell dich nicht dumm, Leutnant«, sagte Torl verärgert.
»Verzeihung, Herr. Soll ich den Weckruf befehlen?«
Torl nickte und bemerkte dann an Zalers Gesichtsausdruck, dass er schon wieder die Augen zusammenkniff und die Nase rümpfte. Er sah wohl langsam so alt und ausgelaugt aus, wie er sich fühlte. Ein Feldbett war kein Ersatz für die riesige Federkernmatratze im Herrschaftsschlafzimmer des Koan-Anwesens,
seinem Haupthaus. Er war zwar an Feldzüge gewöhnt, aber nun holten ihn die Jahre ein.
Zaler machte dem Hornisten des Lordprotektoren ein Zeichen. Dieser salutierte und hob das Horn an die Lippen, um ihm eine kräftige Tonfolge zu entlocken. Es sorgte für lautes Stöhnen um sie herum, dann nahmen die Hornisten der anderen Regimenter den Ruf auf, so dass er aus allen Richtungen erklang. Binnen Augenblicken schallten die Töne auch vom anderen Lager herüber, wo General Lahk seine eigenen Truppen weckte.
Torl sah die Zeltreihen entlang. Seine eigenen Truppen blieben in Zucht und Ordnung, aber die Pönitentenlegionen ließen sich zunehmend gehen, ihre Moral sank. Das bedeutete, dass die Männer der Priester das Lager oft erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichten – aber die Kleriker hatten daraufhin nur die langsamsten Einheiten auspeitschen lassen, was die Sache nur noch verschlimmerte.
»Herr, soll ich einen Heiler rufen lassen? Ihr wirkt erschöpft«, sagte Zaler besorgt.
Torl schüttelte den Kopf. »Das ist nur die Anstrengung. Ich kann nicht zulassen, dass die Männer sehen, wie ich an zwei Tagen hintereinander von einem Heiler behandelt werde, das würde die falschen Zeichen aussenden.«
»Seid Ihr sicher, mein Lord? Ihr seid sehr bleich.«
Zaler wirkte nervös, und Torl dachte noch einmal darüber nach. Der junge Mann drängte eigentlich nie, wenn es nicht nötig war, und tatsächlich fühlte sich sein Brustpanzer heute so schwer an, wie ein ganzer Plattenpanzer. »Die Männer kämpfen nicht für einen verwöhnten Dummkopf, Zaler«, sagte er nach einer Weile.
»Herr, so etwas würde kein Mann des Heeres jemals denken. Ihr seid nun mal fast zwanzig Jahre älter als die meisten von uns und … Ihr sagtet mir einst, dass ein General wichtiger sei als jeder seiner Männer. Das waren Eure Worte, Herr. Ein General muss
auf sich achten. Krankheit oder Erschöpfung sorgen für schlechte Entscheidungen, und die kosten Leben.«
Torl sah seinen Gehilfen böse an. Vielleicht ist der Junge doch nicht ganz überflüssig. »Ausgerechnet jetzt beweist du mir, dass du mir wirklich zuhörst? Wenn du damit im Feld einem General widersprichst?«
Zaler verzog das Gesicht, machte aber keinen Rückzieher. »Ihr habt mir die Aufgaben des Gehilfen eines Generals sehr deutlich erläutert.«
»Wenn du mich danach in Ruhe lässt, dann hol eben einen Heiler …« Torl unterbrach sich selbst. »Nein, sag mir erst, ob es in der letzten Nacht Ärger gab.«
»Ich befürchte, ja, aber wie es
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