Sturmauge
Befehl geben sollte. Er ahnt schon, dass die tote Zone nicht natürlich
ist, auch wenn er vielleicht noch nicht genau weiß, wonach er sucht.«
»Die Hälfte hat er bereits erraten«, stimmte Zhia zu, »und über die andere wird er noch stolpern.«
In der beengten Höhle leuchtete ein Licht auf. Koezh saß auf einem Schlafsack und sah die Glaskugel an, von der das Licht ausging. Ein kleiner Korb und einige dicke, ledergebundene Bücher lagen neben ihm. Zhias Bettstatt war an die gegenüberliegende Wand geschoben.
Der Vampir blickte finster drein. »Also können wir nur warten.« Er wies auf seine wenigen Habseligkeiten. »Es ist lange her, seit wir so gelagert haben.«
Er war kampfbereit, trug einen uralten schwarzen Plattenpanzer, nur der Helm und die Handschuhe lagen neben ihm auf dem Felsen. Sein hasserfülltes Schwert lag auf dicken Eisenhaken, die er über seinem Schlafsack in die Wand getrieben hatte. Ohne den Schutzzauber, der sie umgab, wäre es selbst Zhia unangenehm gewesen, die Waffe zu betrachten, in die Aryn Bwr seine Wut und Trauer über den Mord an seinem Erben gelegt hatte.
»Es muss Jahrtausende her sein«, sagte Zhia mit leichter Schärfe in der Stimme. »Und ich sehe keine Notwendigkeit, es zu wiederholen. Er wird tagelang nachforschen, bevor er handelt. Wenn du im Freien lagern willst, Prinz Koezh, bleibt dir das natürlich vorbehalten.«
»Wir wissen nicht, wie lange er brauchen wird«, antwortete Koezh ärgerlich geduldig. »Du weißt nicht, wie weit er schon ist – und so eine Gefahr dürfen wir nicht eingehen. Er ist kein Mann, den wir bestechen oder einschüchtern können, wie es mit Deverk Grast gelang. Selbst wenn er die ganze Wahrheit wüsste, er würde es doch zu einem Ende bringen. Wir dürfen nicht erlauben, dass es jemand in Besitz nimmt, und wir können uns nicht darauf verlassen, dass der Hüter ihn aufhält. Ganz abgesehen
von der Vernichtung, die dadurch über die Unschuldigen in Ismess hereinbrechen würde.« Er zeigte auf seinen Schlafsack. »Das weißt du alles, also setz dich zu mir.«
Zhia verzog das Gesicht und fiel nach langer Zeit wieder einmal in die Verhaltensweise einer jüngeren Schwester zurück, wusste aber, dass ihr Bruder Recht hatte.
»Selbst wenn wir es ihm später übergeben, müssen wir erst sicher sein«, gab sie zu und ging in die Höhle. Kurz zerrten die eisigen Winde an ihrer Kleidung, als sie den einen Schutzzauber gegen einen anderen tauschte. »Aber ich behalte mir das Recht vor, dir eine Nacht ohne erholsamen Schlaf vorzuwerfen.«
Koezh senkte den Kopf. »Mutter pflegte zu sagen, man müsse die Vorwürfe einer Dame stets hinnehmen. Ich nehme an, dass dies auch dann gilt, wenn man das Ziel eines Ärgers zu sein meint, der eigentlich jemand anderem gilt.«
»Und das soll heißen?«, fragte Zhia eisig.
Ihr Bruder lächelte. »Du scheinst gereizt, seit du einen gewissen jungen Mann meidest. Das ist alles sehr … putzig. Soll ich dich in den Schlaf singen?«
»Wenn du das tust, schlitze ich mir die Kehle auf, und du kannst alleine warten«, gab sie scharf zurück und wandte sich ab, um sein Lachen nicht sehen zu müssen.
»Selbstmord wegen schlechter Laune, eine der niederen Freuden der Unsterblichkeit.«
32
»Genießt du den Morgen?«
Bernstein drehte sich bei Lord Styrax’ Worten eilig um.
Ihr Götter, ich habe nicht das Geringste gehört , dachte er und sagte dann: »Ganz recht, mein Lord. Eine Nacht in Nais Gegenwart reicht aus, damit ein Mann eine ordentliche Brise zu schätzen lernt.«
»War die Luft nicht frisch in eurer Kammer?«
Heute hatte sich Lord Styrax wie ein Offizier in Zivil gekleidet: ein dickes schwarzes Leinenwams ohne Verzierung oder Rangabzeichen, eine schwarze Hose und hohe, auf Hochglanz polierte Reiterstiefel. Das Weißauge war vielleicht nicht übermäßig hübsch – tatsächlich nahmen die Leute seine Züge kaum wahr und wenige könnten sie aus dem Gedächtnis beschreiben. Aber man erinnerte sich doch an die Macht, die ihn wie ein Mantel umgab.
»Ein wenig reif, wenn mein Lord mir diese Bemerkung verzeiht.«
»Das war das Schwein – selbst für meinen Magen war es etwas stark gewürzt.«
Sogar hier auf dem Gelände der Bibliothek, wo es keine Magie gab, wirkte Lord Styrax’ Ausstrahlung beinahe überwältigend. Er war einer der größten Männer des Landes, doch er bewegte sich trotz seiner Maße so geschickt und bedacht wie ein Tänzer. Nach
Bernsteins Meinung musste der undurchschaubare Riese mehr
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