Sturmauge
Winterwind ihnen jede Angst vor der Gefahr genommen. Haipar wurde von der Menge mitgerissen. Sie hörte einen Ruf und sah zu einem berittenen Soldaten auf, der auf sie zukam.
»Zurück! Zurück! Aus dem Weg!«, brüllte er und zügelte sein Pferd erst im letzten Augenblick, so dass er die in Lumpen gehüllte Bettlerin doch nicht niederritt. Er bemerkte auch das kleine Bündel in ihren Armen kaum, scherte sich nicht darum. Der Wind fuhr in seinen Mantel und blähte ihn auf, so dass er darunter eine makellose, blutrote Uniform mit goldenem Saum offenbarte, die ebenso bemerkenswert war wie die Waffe an seiner Seite. Die Menge hörte nicht auf ihn, drängte sich gegen die Kälte zusammen und bewegte sich beinahe wie ein einziges Wesen, als diejenigen an der Spitze weiter vorandrängten.
Ilumene lehnte sich vor, beobachtete das Geschehen eindringlich. Der Wind trug einen Geruch herbei, eine sanfte Berührung des Geistes, die er wiedererkannte. Aracnan folgte Ilumenes Anweisung. Der Unsterbliche stand jetzt sicher an einem Fenster, irgendwo in Sichtweite der Menge, nackt und mit dem Kristallschädel in den zitternden Händen. Sein Magen musste vor Hunger knurren.
Ilumene zog seine gefütterte Jacke enger um sich, als die Kälte direkt aus seinen Knochen zu sickern schien. Aracnan hatte seine eigene schlechte Laune und die Unbequemlichkeiten in den Wind gesät, damit sie alle auf dem Platz beeinflussten, und obwohl er darauf vorbereitet war, knurrte auch Ilumene voller Verärgerung auf. Seine Gedanken wanderten nach Narkang zurück, zu dem König, den er einst wie einen Vater geliebt hatte. Doch dann bekam er sich in den Griff und wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Menge zu.
Die Veränderung kam sofort. Ilumene, ein Mann, der in der Kunst der Wut sehr bewandert war, spürte die Stimmung noch vor allen anderen kippen. Seine Augen wurden von einem großen Mann auf der linken Seite der drängenden Menge angezogen, der die Zügel des Pferdes neben ihm ergriff. Der Reiter bemerkte seine Bewegung und war schneller, trat nach dem Mann und sandte ihn damit zu Boden. Die Menge wich jedoch nicht zurück, sondern preschte vor. Der Reiter rief um Hilfe, aber die Worte gingen unter, weil beide Seiten nun ein wortloses, hasserfülltes Gebrüll anstimmten.
Die Reiterei erinnerte sich an ihre Ausbildung und kämpfte sich nicht in die Menge vor. Sie hielten die Reihen und waren damit zufrieden, mit den Schäften ihrer Speere auf alle einzuschlagen, die in Reichweite waren. Blut spritzte und Männer schrien auf, fielen zu Boden und wurden dort totgetrampelt. Jetzt erhob sich Ilumene von seinem Stuhl und nahm das noch in der Scheide steckende Schwert in die Hand. Hinter der Kutsche der Herzogin kamen nun zwei Einheiten Fußsoldaten hervorgestürmt.
Brüllend trafen die Soldaten auf die Menge, die ihnen sogar entgegenlief, dann wurde ein halbes Dutzend Bettler – oder mehr — von den schweren Schilden der Soldaten zu Boden geschlagen. Ilumene spannte sich an, die Augen auf Haipar gerichtet, die hin-und hergestoßen wurde und das Kind mit den Armen zu schützen versuchte. Die Stimme der Menge versagte, als sie von den Fußsoldaten zurückgetrieben wurde, und Haipar kauerte sich furchtsam zusammen – um dann plötzlich allein vor den Beschützern der Herzogin zu stehen.
Ilumene war bereits in Bewegung, als ein schriller Schrei erklang. Alle anderen hielten inne, sahen zu, wie sich die drei Soldaten mit erhobenen Waffen der Frau zuwandten. Haipar stand reglos da, im Blick schon den nahenden Tod, da kreischte das Kind in ihren Armen erneut.
Der Laut schien alle anderen erstarren zu lassen, bis Ilumene einen der Soldaten mit der Schulter anstieß und ihn zu Boden warf. Er sah in den Augen des nächsten Mannes Furcht aufblitzen, als er sich in unnatürlicher Geschmeidigkeit weiterdrehte, das Schwert zog, dem Soldaten ins Knie schnitt und sich weiterbewegte. Das Gesicht des dritten Soldaten war wutverzerrt, als er mit dem Speer nach Haipar stieß …
… aber Ilumene war bereits da. Er schlug das Schwert in den Speerschaft und ließ sich von seinem Schwung gegen den Mann tragen. Dann schlug er aufwärts und traf den Mann im Gesicht. Blut spritzte auf seine Wange, und der Soldat fiel. Ein kleiner Mann war der Erste, der handelte, indem er mit eingelegtem Speer und erhobenem Schild auf ihn zulief. Ilumene drehte sich an der Speerspitze vorbei, fing den Schild mit seiner Seite ab und rammte dem Mann dann den Ellbogen gegen den Hals,
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