Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturmauge

Sturmauge

Titel: Sturmauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
Vom Netzwerk:
Treppe hat den Schlüssel«, rief Kam, worauf Boren grunzte und verschwand. Kam nahm sich einen Augenblick Zeit, um den Mann zu mustern, für den er sein Leben aufgab. Er war nicht gerade sehr beeindruckend. Herzog
Certinse war kleiner, als er erwartet hatte, ein schlanker, glatt rasierter junger Mann, der es schaffte, sogar an die Wand gekettet noch arrogant zu wirken.
    »Wie sieht euer Plan aus?«, fragte er.
    Kam zuckte die Achseln. »Rauskommen. Dieser Ort ist ein Irrgarten – wir suchen uns ein Fenster, klettern raus und laufen zu unseren Pferden.«
    »Das ist euer ganzer Plan?« Der Herzog klang verärgert.
    »Hört auf herumzumeckern«, sagte Kam ruhig. »So weit kommen wir gar nicht, zumindest nicht, wenn Lord Isak so gut ist, wie alle sagen.«
    Wie zur Antwort klangen Rufe von der Treppe her, vom Klirren der Schwerter unmittelbar gefolgt.
    »Wir sind gefangen.« Kam trat zur Tür und sah, dass seine verbliebenen Kameraden am Fuße der Treppe standen, die Waffen bereit. Niemand sprach, nicht einmal Petril Corast, der doch sonst immer einen dummen Scherz auf den Lippen trug. Kam sah auch die beiden Kinder dieses Mannes vor sich, die jedes Mal die Augen rollten, wenn Corast etwas sagte – aber jetzt war ihnen ihr Vater wohl kaum peinlich. Er stand in einer Reihe mit den anderen und Blut floss aus seiner Schulterwunde. Er trug die Axt nun in der Linken.
    »Wir sehen uns in der Halle des Herolds«, sagte Kam leise.
    Boren, der neben ihm stand, nickte nur und umarmte seinen ältesten Freund grob, bevor er sich zu den anderen stellte. Kam versuchte das Gefühl der Niedergeschlagenheit zu bekämpfen, das sich in seinen Innereien breitmachte, während er zu einem der toten Männer trat und zwei Kurzschwerter aus dessen Wehrgehänge zog. Er ging zurück in die Zelle, warf dem Herzog die Schwerter vor die Füße und schlug mit der Axt auf die Ketten ein, die den jungen Mann an die Wand fesselten. Die Glieder waren dick und gut gefertigt, so dass es trotz der Schärfe seiner
Axt und der Kraft der Verzweiflung zu lange dauerte, die erste Kette zu durchtrennen.
    Er hielt inne und zog eine Phiole aus seiner Tasche. Sie bestand aus dickem Glas und war mit Draht umwunden. »Nehmt dies«, sagte er.
    Herzog Certinse blickte das Gefäß verwirrt an. »Was ist das?«
    »Gift. Trinkt es, wenn Ihr sicher sein wollt, dass man Euch nicht lebend fängt. Die Schwerter sollen Euch erlauben, im Kampf zu sterben. Das Gift ist für den Fall da, dass es Euch nicht gelingt.«
    Certinse nickte grimmig und sah nun nicht mehr so kindlich aus. Er zog den Wachsstopfen heraus, hob die Phiole zu einem stummen Gruß und stürzte die Flüssigkeit hinab. Sie versuchten beide das Schreien der Männer im Wachraum zu überhören, während Certinse den Würgereiz bekämpfte, den das Gift hervorrief.
    Kam nahm seine Axt wieder auf, aber bevor er sich der anderen Kette zuwenden konnte, hielt Certinse ihn auf. »Dieser Arm taugt nichts, die Wunde ist nicht ordentlich verheilt.« Er wies auf die Schwerter, und Kam reichte sie ihm. Er nahm eines in seine noch gefesselte Rechte und das andere in die Linke.
    Kam nickte bestätigend und wandte sich der Tür zu. Er konnte Borens Brüllen vernehmen und hörte aus dem Lärm Tols nasalen Schmerzensschrei heraus.
    »Ich hoffe, Eure Mutter steht zu ihrem Wort«, sagte er, hob seine Glefe und trat etwas von Certinse weg, damit sie genug Platz zum Kämpfen hatten. »Wenn nicht, werde ich Euch am Dunklen Ort heimsuchen.«
    Es blieb keine Zeit für eine Antwort, denn nun stürmten die Geister in den Raum.

8

    Haipar brauchte keine Hilfe dabei, verzweifelt zu wirken. Sie war nicht mehr die Söldnerin, die Gestaltwandlerin, die Führerin. Die Jahre hatten sie schließlich doch eingeholt – und jetzt war sie nur noch ein kaputtes Überbleibsel. Einst hatte sie stolz Asche in ihr Haar geschmiert, aber jetzt war es längst grau, aus natürlichen und unnatürlichen Gründen. Ihre Gliedmaßen, einst muskulös wie Taue, waren nun so dürr wie die eines hungernden Flüchtlings. Nur ihre hervorstechende Nase und ihre Stirn schienen von der Reise und der viel zu kurzen Schwangerschaft nicht in Mitleidenschaft gezogen zu sein. Ilumene war auf der Reise nach Süden sehr nett zu ihr gewesen, was ihn selbst überrascht hatte. Im Gegensatz zu dem verdammten, jammernden Dohle, den er nur zu gern mit Vrenn auf die Reise nach Norden verabschiedet hatte, war Haipar zu zerbrechlich, zu gebrochen gewesen, um Ilumenes Abscheu zu wecken.

Weitere Kostenlose Bücher