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Sturmauge

Sturmauge

Titel: Sturmauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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Es war dem ehemaligen Mitglied der Bruderschaft von Narkang leichtgefallen, seine bösartige Natur zu zügeln. Wenn ihn König Emin eines gelehrt hatte, dann war es die Wichtigkeit der Selbstbeherrschung auf einer Mission.
    Haipars Geist war zerstört, sie konnte keinem Gedanken bis zum Ende folgen, aber etwas Unterbewusstes, Urtümliches sorgte doch dafür, dass sie in das Bündel in ihren Armen sah. Als sie das Kind erblickte, zeigten sich Staunen und Angst in ihrem Gesicht.
Ihr Sohn blickte zurück, mit einem Lächeln auf den Lippen und Schatten in den Augen – beobachtend, stets beobachtend.
    Die Menge um sie herum war in der letzten Stunde angewachsen. Sie war als eine der ersten auf dem großen Platz der Stadt Byora eingetroffen, der dort lag, wo man auf der Hauptstraße das Viertel verließ. Byora war das größte und reichste der vier Viertel in der Runden Stadt. Wie die anderen, die sich an den großen Schwarzzahnberg schmiegten, stand sie unter Selbstverwaltung.
    Ilumene nippte an einem schmutzigen Becher mit widerlich süßem Tee und sah seinem Mündel weiter dabei zu, wie sie ihr Kind schützte, als plötzlich Bewegung in die versammelten Bettler kam. Sie hatten sich hier in der – meist vergeblichen – Hoffnung auf irgendeine Arbeit zusammengefunden. Ilumene hatte Haipar gesagt, sie solle dorthin gehen, also hatte sie es getan, aber sie hatte höchstwahrscheinlich keine Ahnung, auf was sie da nun wartete. In ihren Augen zeigte sich kein Erkennen, nur Verwirrung über ein Land, das sie nicht mehr verstand.
    Der Platz war durch seine Lage an der Hauptstraße zwischen dem Haupttor zu den oberen Vierteln und dem Gegenstück in der Mauer des Viertels ein sicherer Ort. Ilumene hob den Blick und sah zu den oberen Vierteln hinauf, die sich hinter einer hohen Steinmauer befanden und mit milder Verachtung auf den Rest von Byora hinabsahen.
    Die hohen Bauten, von denen das Viertel Acht Türme seinen Namen hatte, waren vor der tief hängenden Schneewolke nur gerade so eben auszumachen. Neben ihnen standen, wie streitende Kinder, die von ihren Eltern auseinandergehalten wurden, die beeindruckenden Gebäude der Viertel Hale und Münze. Im Gegensatz zu Byoras südlichem Nachbarn Ismess, wo religiöse Gesetze herrschten und kein Gebäude höher als der Tempel sein durfte, blickten die acht Türme auf ihre Nachbarn hinab, was die Priester von Hale und die Händlerprinzen von Münze sehr ärgerte.
Im Schatten von Schwarzzahn war Höhe ein Vorrecht der Mächtigen, und so stellten die acht Türme eine eindeutige Aussage für alle jene in Byora dar, die von niederer Geburt waren.
    Hinter ihnen erhob sich drohend der Berg. Ilumene gelang es nicht, seine Anwesenheit nicht zur Kenntnis zu nehmen. Er war in der Küstenstadt Narkang geboren worden, fernab jeden Berges, und die gezackten, gewölbten Abhänge und die dünnen, schwarzen Spitzen, die aus diesen Abhängen ragten, beunruhigten ihn. Er fühlte sich eingesperrt, und mehr als einmal hatte er sich dabei erwischt, wie er sich von Schwarzzahn weglehnte, als dränge sich der Berg geradezu gegen ihn.
    Ein Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken, und als er sich umdrehte, sah er das sich nähernde Gefolge der Herzogin von Byora, Natai Escral. Die roten Roben der Rubin-Turmwache stellten an diesem trüben Tag einen plötzlichen Farbtupfer dar. Man hatte sich um den Schutz der Herzogin gekümmert, das war offensichtlich. Alle hatten davon erfahren, dass die Menin nach Norden auf Tor Salan zumarschierten, und wenn sie die Söldner, die diese große Handelsstadt bewachten, erst besiegt haben und weitergezogen sein würden, war die Runde Stadt der nächste Preis, auf den Lord Styrax’ Blick fiel.
    »Und du weißt, dass du nicht annähernd so viele Mann aufbringen kannst wie Tor Salan«, murmelte Ilumene der Herzogin zu, während sie näher heranritt, »obwohl Aracnan und die Narren meinem Befehl unterstehen.«
    Er leerte seinen Tee und war dankbar für die Wärme, die er spendete, auch wenn er scheußlich schmeckte, und schob seinen Stuhl ein bisschen nach hinten, damit er kein Hindernis für ihn darstellte, wenn die Zeit kam. »Keine Sorge, Euer Hochwohlgeboren«, murmelte er. »Ich werde dir in Kürze deinen Heiland vorstellen.«
    Als die Gefolgschaft der Adligen den Platz erreichte, eilten die
Bettler ihr entgegen, die Hände nach Almosen ausgestreckt, und ein wortloses Klagen erfüllte die Luft. Die Straße war im Nu voller zitternder Armer. Es schien fast, als habe der

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