Sturmbote
dieser Mann hat einen Beamten überredet, in seinem Namen um eine Audienz zu bitten.« Siala hielt inne, ihr Blick war leicht glasig und abwesend geworden. Erst glaubte Zhia, die Frau sei bezaubert worden, aber
dann erkannte sie es als Verwunderung. »Ein seltsamer Kerl, aber sehr überzeugend. Auf jeden Fall für die Bühne geboren. Seine Stimme schlug mich in ihren Bann.«
»Und seine Bitte?«
»Seine Bitte? Nichts Wichtiges. Der Barde wollte einen verurteilten Verbrecher haben, um die Hinrichtung in einer Szene seines Stückes wirklich durchzuführen.«
»Und Eure Antwort darauf?« Irgendetwas machte Zhia unruhig. Sie hatte nicht die geringsten Skrupel, was das Töten anging, und wusste, wie man einer Menschenmenge das gab, was sie sehen wollte. Aber der Mann hatte eine Omenkette getragen und diese Ketten waren nicht nur eitler Tand. Hier ging etwas vor sich, und Zhia wusste noch nicht, ob Siala nur geprüft werden sollte oder ob noch etwas anderes dahintersteckte. »Habt Ihr es ihm gestattet?«
»Ja. Wärest du anderer Meinung gewesen?« Siala blickte sie herausfordernd an.
»Keineswegs. Es interessierte mich nur, denn der Mann hat meine Neugier erregt.«
»Warum?«
»Er trug eine Omenkette. Nicht als Teil seines Kostüms, sondern eine echte«, sagte Zhia und achtete auf Sialas Reaktion. »In den letzten zwei Jahrtausenden dürften nicht mehr als einhundert davon gefertigt worden sein. Der Vorgang ist schwierig und benötigt besondere Materialien – Omenketten sind unglaublich teuer. Dass ein fahrender Spielmann eine besitzt …« Zhia zuckte die Achseln. »Wie hieß er?«
»Omenketten?« Siala blickte fragend. »Davon habe ich noch nie gehört. Er nannte sich Rojak und hat das versunkene Theater zwischen den sechs Tempeln und dem Schlachthaus gemietet.«
»Rojak?« Der Name sagte Zhia nichts. »Wenn es möglich ist, werde ich mir die Vorstellung vielleicht doch noch ansehen.«
»Nun, bevor du das tust«, sagte Siala grob, offenbar verärgert, dass sie von ihrem eigentlichen Anliegen abgebracht worden war, »erzähl mir bitte, was in Narkang geschah. Die wenigen Berichte, die mich erreichten, waren bestenfalls lückenhaft. Wie es scheint, bist du die einzige Schwester von Bedeutung, die überlebte.« Sie lehnte sich über den Marmortisch vor, und dabei bröckelte ihre Fassung. »Ist die Königin der Fysthrall auch ganz sicher tot? Warst du dabei?«
Zhia hatte ihren unschuldigen Ausdruck schon Jahrtausende vor Sialas Geburt geübt. Jetzt wusste sie, was Siala wissen wollte, und deren aufmerksames Mustern würde keine Auskunft erhalten.
»Ich war beim Tod der Königin nicht anwesend, nein«, sagte sie mit einer Spur Bedauern in der Stimme. »Sie hat mich dazu abgestellt, den Piraten Herolen Jex im Zaume zu halten – sie traute seiner Schläue nicht und wollte regelmäßig Bericht erhalten.«
Siala verbarg ihre Enttäuschung. »Und wie entkamst du aus der Stadt?«
»Als der Angriff fehlschlug, versank die Stadt im Chaos. Ich wurde von zwei der örtlichen Söldnern gestellt, und nachdem ich meinen Nutzen bewiesen hatte, damit ich weiterleben durfte – oder zumindest, dass man mich nicht ohne weiteres töten ließe – flohen wir gemeinsam. Wir hatten wohl Glück, denn an diese Zeit der wilden Flucht und des Versteckens, in der wir alle töteten, die sich uns in den Weg stellten, erinnere ich mich kaum noch.« Sie achtete auf Sialas Gesicht, als sie hinzufügte: »Wir stahlen einige Pferde und dank meiner bescheidenen Magie konnten wir uns vor den Verfolgern verbergen.«
»Und was ist auf dem Turnierplatz geschehen?«
»Da gibt es nicht viel zu berichten. Man hatte den Krann der Farlan gefangen gesetzt und wollte ihn wie geplant in die Dienste der Königin zwingen, als er erwachte. Ich weiß nicht zu sagen,
ob sie seine Stärke unterschätzten oder ob König Emin einen Rettungstrupp durchbrachte. Sie haben den Angriff erwartet, das weiß ich, und wurden nicht so überraschend getroffen, wie unsere Getreuen uns glauben machen wollten. Also hat sich der König vielleicht vorbereitet.«
Zhia erkannte aufflackernde Gefühle in Sialas Augen und war belustigt. Screes neue Herrscherin wollte augenscheinlich verzweifelt herausfinden, was es mit dem Kristallschädel auf sich hatte. Wer den Schädel besaß, konnte den ganzen Weißen Zirkel unter seine Knute zwingen. Wenn derjenige genug Willenskraft besaß, vermochte er es vielleicht sogar, den gesamten Stamm der Fysthrall zu beherrschen, sofern er
Weitere Kostenlose Bücher