Sturmbringerin
Schweigend ging sie zur Tür und versuchte einen.
Ich hörte das leise Klacken des schweren Riegels als Orena den Schlüssel herumdrehte.
Kaj schob sie ungeduldig zur Seite und riss die Tür auf. Ayashas Zimmer war kleiner als meines und überall lagen zerbrochene Möbelstücke auf dem Boden verteilt. Ayasha hockte mit angezogenen Beinen auf einer Matratze in der hinteren Zimmerecke und starrte fassungslos in unsere Richtung.
Kaj machte einen Satz über das im Eingangsbereich aufgeschichtete Holz und eilte auf seine Geliebte zu.
Ungläubig schaute ich mich im Zimmer um. Ayasha hatte alles kurz und klein geschlagen, was ihr in die Finger gekommen war.
Gerade war Kaj dabei Ayasha vom Boden zu heben und herumzuwirbeln. Sie konnte immer noch nicht fassen, wie ihr geschah. Doch dann begann sie glücklich zu lachen.
Vollkommen weltvergessen sahen die beiden sich einfach nur in die Augen und genossen das Glück wieder vereint zu sein.
Jase räusperte sich vernehmlich. »Ich störe wirklich nur ungern, aber wir sollten aufbrechen.«
Kaj setzte Ayasha wieder ab und die beiden bahnten sich ihren Weg durch die Trümmer zu uns nach draußen.
Nacheinander fiel Ayasha uns um den Hals und rang um Worte, die ihre Freude und ihre Dankbarkeit ausdrücken sollten.
»Wir müssen noch jemanden holen. Dann verschwinden wir von hier«, erklärte Kaj ihr.
Gerade wollten wir uns auf den Weg machen, als Ayasha erstarrte. Sie lief zurück in ihre Zelle, kletterte über die Trümmer und eilte zum Fenster. Dort zog sie ein kleines Holzstück beiseite. Sie beugte sich vor und rief durch das Loch im Glas: »Lou, ich verschwinde von hier. Endlich werde ich fliehen. Such draußen nach mir, nicht mehr hier drinnen.«
Ich hörte das entfernte Krächzen eines Vogels. Schon kam Ayasha zu uns zurück.
»Mit wem hast du gesprochen?«, fragte ich neugierig.
»Ich habe hier einen Freund gefunden. Er heißt Lou und ist ein Turmfalke. Dank ihm hatte ich einen Gesprächspartner und war mit meinen Gedanken nicht mehr ganz so allein wie zuvor«, erklärte Ayasha mir.
Orena scheuchte uns voran und ging schließlich vorweg, sobald wir uns alle in Bewegung gesetzt hatten. Meine Gabe ließ sie nicht los und ich hatte sie die ganze Zeit über im Visier. Sollte sie versuchen, uns zu täuschen, würde sie es nicht überleben.
Ein Teil von mir wollte sie noch immer büßen lassen, für das, was sie mir angetan hatte. Ich überdachte ihre Version der Geschichte und beschwor die Erinnerung von neuem herauf. Nüchtern betrachtet, konnte ich ihren Worten einen gewissen Wahrheitsgehalt nicht absprechen.
Schließlich hatte sie mir Essen gegeben, wenn sie konnte. Nicht einmal hatte sie mich wirklich geschlagen, wenn dann hatte sie es lediglich so aussehen lassen, geschmerzt hatte es nie. Auch hatte sie mich mit ihrer Gabe bei weitem nicht so sehr gequält wie Kemandra es mit Freuden getan hatte. Dann war da noch Degan. Sie hatte ihn tatsächlich von mir ferngehalten, daran bestand kein Zweifel.
Kaj‘ Stimme durchbrach meine Gedanken. »Haben sie dich verletzt?«
»Nein, nur wenn ich sie zu sehr provoziert habe und bei meinem Fluchtversuch. Nicht ein einziges Mal haben sie mit mir gesprochen, das war viel schlimmer.« Ayasha klang bedrückt. Vermutlich glaubte sie ebenso wie ich, dass uns der schwierigste Teil der Flucht noch bevorstünde.
»Warum haben sie nicht mit dir gesprochen?«, fragte ich neugierig. »Manchmal hätte ich mir nichts sehnlicher gewünscht als Stille.«
»Ich weiß es nicht. Es war ganz egal, was ich ihnen an den Kopf geworfen habe. Meistens haben sie mich nicht mal angesehen.«
Das war wirklich seltsam. Jedoch hätte es mir meine Wochen der Gefangenschaft deutlich erleichtert, hätte ich nicht immerzu die lästerlichen Worte von Kemandra hören müssen. Die Gespräche mit Degan und Hias waren auch nicht angenehmer gewesen.
»Möglichst vollständige Isolation ist eine Form turontischer Folter. Es macht Geist und Willen auf Dauer mürbe«, sagte Orena in die Stille hinein.
»Du hast mir gesagt, man hätte nicht versucht, Ayasha zu brechen«, warf ich ihr daraufhin vor.
»Und ich habe deine Frage wahrheitsgemäß beantwortet. Du hast nicht nach Folter gefragt.« Resolut marschierte Orena weiter durch die Gänge.
Mir kamen erneute Zweifel an ihrer Solidarität. Ich ergriff sie an der Schulter und zwang sie, stehenzubleiben. »Bist du dir sicher, dass du auf unserer Seite bist? Für meinen Geschmack erzählst du uns zu wenig. Immer
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