Sturmbringerin
Weg zum östlichen Waldrand, von dem er wusste, dass die dortigen Wachposten weit auseinander lagen. Pflichtbewusst grüßte er die Entgegenkommenden und hoffte, sie merkten ihm die Eile nicht an.
Endlich hatte Quentin den Rand der Lichtung erreicht und schlug sich ohne zu zögern in die Büsche. Nun wo ihm keine neugierigen Blicke mehr folgen konnten, erhöhte Quentin seine Geschwindigkeit und lief fast. Er musste noch tiefer in den Wald.
Inzwischen rannte Quentin durch das unwegsame Gelände, sprang über Baumwurzeln und Löcher im Boden, wich tiefhängenden Ästen aus und gab sich alle Mühe das Gleichgewicht auf dem alten, rutschigen Laub zu bewahren.
Nur wenige Minuten später war er am Ziel. Vor ihm ragte die uralte Eiche auf, bei der sie sich immer trafen. Ihr Stamm war knorrig, die Äste lang und gewunden und ragte weit in den Himmel. Man konnte diesen Baum nicht übersehen, was gut war, da Quentin einmal die Woche hierher kam.
Schweratmend sah er sich um. Der Adler saß auf dem untersten Ast der Eiche und musterte Quentin neugierig. Zur Begrüßung stieß er ein heiseres Krächzen aus.
»Spar dir das«, schnaubte Quentin als Antwort darauf.
Der Vogel legte den Kopf schief und starrte düster aus seinen Knopfaugen auf Quentin herab. »Mir war entfallen, wie sehr es dir missfällt, wenn ich mich meinem Wesen entsprechend verhalte.« Seine Stimme klang noch immer kratzig, auch wenn er nun sprach. Der Adler schüttelte seine Flügel aus, wobei seine Federn leise raschelten.
»Es entfällt dir doch tatsächlich jede Woche aufs Neue.« Quentin wusste, dass Khio ihn damit ärgern wollte, doch wollte er sich auf dessen Spiel nicht einlassen.
»Verwandle dich endlich in etwas, dessen Miene ich deuten kann, Khio.«
Wenn Adler beleidigt schauen konnten, musste es wohl so aussehen, wie der starre Blick, den der Vogel Quentin nun zuwarf.
Khio ergab sich in sein Schicksal, streckte die Flügel aus und begann mit seiner Wandlung. Er wurde größer, gleichzeitig zogen sich die Federn zurück und machten sonnengebräunter, nackter Haut Platz. Innerhalb von Sekunden schwoll der Vogelkopf auf ein mehrfaches seiner Größe an. Auch hier wichen die Federn und machten braunen Haaren platz. Die schwarzen Knopfaugen wurden ebenfalls größer und wechselten in ein dunkles Grün.
Sobald Khio fertig war, schüttelte er sich und sein stechender Blick durchbohrte Quentin. Khio blieb auf dem Ast sitzen. Quentin wusste nicht, ob er es tat, weil ihm seine Nacktheit unangenehm war oder weil es ihm einfach nur gefiel, dass Quentin die ganze Zeit zu ihm aufschauen musste. Die Vermutung lag nahe, dass es sich um letzteres handelte.
»Was gibt’s Neues?« Khio lächelte spöttisch auf ihn herab.
Quentin verkniff es sich, seine Hand zur Faust zu ballen, hätte diese Geste außer Khios Genugtuung doch nichts zur Folge.
Wie schaffte es dieser Kerl nur immer wieder, dass Quentin ihn am liebsten rupfen und braten wollte? Angestrengt ließ Quentin die Luft aus seiner Lunge entweichen und überlegte, wo er anfangen sollte. Es wäre eine schlechte Entscheidung, Khio etwas anzutun. Dadurch würde er sich nur Ärger mit ihrem Vorgesetzten einhandeln. Boten waren dieser Tage rar.
Je schneller Quentin Bericht erstattete, desto eher konnte er Khios unangenehmer Gesellschaft entfliehen.
»Ist dir zu Ohren gekommen, dass Loran gefallen ist?«
Khios Antwort war ein stummes Nicken.
»Dabei wurde der Bär befreit und auch ein Heiler, den sie kurz zuvor dort untergebracht hatten.«
»Man ist darüber nicht erfreut«, antwortete Khio kurz angebunden.
»Das dachte ich mir.«
»Weißt du wie es dazu kam? Den Berichten nach muss es ein gewaltiges Blutbad gewesen sein. Alle Soldaten wurden aufs Übelste verstümmelt, regelrecht zerfetzt. Nur wenige Leichen waren halbwegs unversehrt. Du hattest uns keinen Angriff aus dem Rebellenlager gemeldet.« Khios Augen wurden schmal. Er misstraute Quentin ebenso sehr wie dieser ihm. Auch wenn dieser Gedanke Quentin zuwider war, so war er sich nur zu bewusst, dass Khio zwar in erster Linie ein Bote war, aber dennoch mit einer weiteren Aufgabe betraut war.
Er sollte Quentin überwachen und sicherstellen, dass seine Loyalität nicht ins Wanken geriet, wie dies bereits öfter geschehen war.
»Es war kein Angriff vom Widerstand. Eine einzelne Frau ist dafür verantwortlich. Bis gestern wusste ich nichts von ihrer Existenz, geschweige denn von ihrem Ziel. Ich war also nicht in der Lage, jemanden über ihre
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