Sturmflut: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
Köhne gestorben ist, hat mich Mark mitten in der Nacht angerufen. Er hatte ziemlich viel getrunken, und ich war nicht gerade begeistert, dass er mich aus dem Bett geschmissen hat, vor allem, weil ich am nächsten Morgen eine Klausur schreiben musste. Aber dann hat er mir erzählt, dass er sich geirrt hat, dass der Tod seiner Eltern nämlich einfach nur ein schlimmes Unglück gewesen ist. Und dass letztendlich auch Köhne daran kaputt gegangen ist. Ich war natürlich unglaublich erleichtert, weil ich wusste, dass er jetzt keine Dummheiten mehr machen würde – bis ich dann plötzlich die Nachricht gekriegt habe, dass Mark tot ist.«
Jonas verzog schmerzerfüllt das Gesicht, senkte den Kopf und vergrub ihn in beiden Händen.
»Verdammte Scheiße!«, stieß er gequält hervor.
»Da warst du gerade in Australien«, ergänzte Suna, die verhindern wollte, dass er aufhörte zu erzählen.
Jonas blickte wieder auf und nickte. Dann schnaubte er verächtlich. »Ein toller Bruder bin ich. Ich war nicht mal auf seiner Beerdigung. Aber ich bin kurz darauf zurückgekommen, weil ich es da unten nicht mehr ausgehalten habe. Ich konnte nicht einfach so weitermachen, als ob nichts passiert wäre. Deshalb bin ich hergekommen.« Zum ersten Mal, seit er zu erzählen begonnen hatte, wandte er sich an Fenja. »Ich wollte dir das Leben zur Hölle machen, weil du mir den Menschen weggenommen hast, der mir mehr bedeutet hat als jeder andere.«
»Du kanntest Mark doch am besten«, ergriff Suna wieder das Wort, als Fenja nichts sagte. »Kannst du dir einen Grund vorstellen, warum er auf Fenja losgegangen ist?«
Jonas senkte betreten den Blick. »Nein. Ehrlich gesagt habe ich das bisher auch gar nicht geglaubt. Die ganze Notwehrgeschichte war für mich nichts als eine Lüge, ein Versuch von Fenja, sich vor den Konsequenzen zu drücken. Ich wusste ja nicht« – er starrte wieder auf das Foto mit Fenjas Verletzungen – »wie das damals wirklich ausgesehen hat.«
Er machte eine kurze Pause und sah Fenja nachdenklich an. »Weißt du, das letzte Mal, als ich mit Mark gesprochen habe, schien er mir richtig glücklich zu sein. Er hatte endlich mit der Unfallgeschichte abgeschlossen – und ich glaube sogar, dass du für ihn mehr warst als eine Freundin. Deshalb wollte es mir auch überhaupt nicht in den Kopf, dass ausgerechnet du ihn abgestochen hast.«
Fenja hielt seinem Blick stand, obwohl ihre Augen feucht schimmerten. »Und da hast du beschlossen, mich mit den Schmierereien an meinem Laden, der Todesanzeige und dem Anruf in den Wahnsinn zu treiben«, sagte sie so leise, dass es kaum zu verstehen war.
Jonas nickte beschämt. Doch dann stutzte er plötzlich. »Welcher Anruf?«, fragte er verwundert.
»Fenja hat gestern Abend einen Anruf im Hynsteblom bekommen. Und sie ist sich sicher, dass sie Marks Stimme gehört hat«, erklärte Suna, ohne sich eine Gefühlsregung anmerken zu lassen.
Jonas runzelte die Stirn. Seine Verwirrung schien echt zu sein.
»Ich gebe zu, dass ich das Schaufenster beschmiert habe«, meinte er. »Das war echt idiotisch von mir. Und das mit der Todesanzeige war auch nicht gerade eine Glanzleistung. Aber ich schwöre, dass ich absolut nichts von einem Anruf mit Marks Stimme zu schaffen habe. Er senkte die Stimme, als er hinzufügte: »So etwas würde ich niemals tun. Das wäre Mark gegenüber total respektlos.«
*
»Und du glaubst Jonas, dass er nicht der Anrufer war?« Daniel sah Suna skeptisch an.
Die beiden hatten sich im Restaurant des Hotels Fährhaus getroffen, in dem Daniel auch ein Zimmer genommen hatte. Eigentlich hatte auch Fenja zu dem Treffen mitkommen wollen, um mehr über Sébastien zu erfahren. Aber nach dem Besuch bei Marks Pflegebruder hatte sie es doch vorgezogen, den Abend allein in ihrer Wohnung zu verbringen. Sie brauchte dringend ein bisschen Ruhe. Daher hatte Suna sie in der Nähe des Hynsteblom abgesetzt und war dann allein nach Munkmarsch gefahren.
Bei einem Glas Wein hatte Suna Daniel von ihrem Gespräch mit Jonas und von der Vorgeschichte erzählt, nachdem er ausführlich von der Suche nach seinem Bruder berichtet hatte.
»Ich wüsste nicht, welchen Grund er haben sollte, zu lügen«, gab Suna zurück. »Immerhin hat er ja auch zugegeben, dass er die Todesanzeige im Tageblatt aufgegeben hat und den Laden beschmiert hat. Und er wusste, dass Fenja ihn nicht anzeigen will. Um eine eventuelle Strafe kann es also auch nicht gegangen sein.«
»Aber wer war es dann?«
Suna zuckte die
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