Sturmflut: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
entführt wurde. Dafür möchte ich mich unbedingt bei ihm entschuldigen.«
Suna zog die Augenbrauen hoch. »Entschuldigen?«, wiederholte sie. »Wofür denn?«
»Kurz bevor die Männer kamen und uns überwältigt haben, habe ich mich noch mit Sébastien gestritten.« Daniel wirkte beinahe abwesend, während er sprach. Sein Blick war starr auf einen imaginären Punkt seitlich von Suna geheftet. »Es ging nur um eine Lappalie, aber das Letzte, was ich zu ihm gesagt habe – außer dass er wegrennen soll, meine ich – war, dass ich mir wünschte, keinen Bruder zu haben.«
Samstag, 16. Februar
Viel später als sonst kam Suna am nächsten Morgen ins Hynsteblom. Fenja hatte schon aufgeschlossen und sah ihr trotz ihres blassen, übernächtigten Gesichts belustigt entgegen.
»Na, war wohl ein harter Abend gestern?«, grinste sie.
»Zumindest ist es ein bisschen später geworden als geplant«, gab Suna zu. »Daniel und ich haben ein paar Gläser Wein getrunken, und dann habe ich beschlossen, auch im Fährhaus zu übernachten. Natürlich auf eigene Rechnung«, fügte sie schnell hinzu.
Sie hatte bis spät in die Nacht mit Daniel zusammengesessen und die Möglichkeiten diskutiert, wie Marks Tod mit der Entführung von Sébastien zusammenhängen konnte. Zu einem brauchbaren Ergebnis waren sie aber nicht gekommen. Es gab einfach zu viele Unbekannte in dieser Rechnung.
Sie musterte Fenja besorgt. Ihre Auftraggeberin schien jeden Tag ein wenig dünner und blasser zu werden. »Und wie geht es dir? Hast du das Gespräch mit Jonas einigermaßen verdauen können?«
Fenja nickte. »Es war schon ganz schön hart für mich, als er wie selbstverständlich erklärt hat, dass er mir das Leben zur Hölle machen wollte. Aber ich bin trotzdem froh, dass wir das gestern noch geklärt haben. Jetzt geht es mir ein bisschen besser. Bloß das mit dem Anrufer macht mir noch ganz schön Angst.«
»Ich denke, da werden wir auch bald mehr erfahren«, versuchte Suna sie zu beruhigen. »Wenn sich Kobo nicht im Lauf des Vormittags meldet, rufe ich ihn noch mal an und trete ihm ein bisschen in den Hintern.«
Sie sah sich verwundert im Laden um. »Ist Carolin noch gar nicht da?«
Fenja schüttelte den Kopf. »Seltsamerweise noch nicht«, bestätigte sie. »Ich habe mich auch schon darüber gewundert. Normalerweise ist sie absolut zuverlässig. Aber vielleicht hat sie einfach nur verschlafen. Wenn sie in einer Viertelstunde noch nicht hier ist, versuche ich sie mal auf dem Handy zu erreichen.«
Sie zuckte erschreckt zusammen, als ein Telefon läutete. Die Angst vor einem erneuten Anruf mit Marks Stimme saß ihr anscheinend immer noch tief in den Knochen. Doch es war nicht das Telefon des Hynsteblom, sondern Sunas Handy.
Als Suna auf dem Display Kobos Nummer erkannte, lächelte sie entschuldigend, verzog sich ins Hinterzimmer des Ladens und schloss leise die Tür hinter sich.
»Du hast aber ganz schön lange gebraucht diesmal«, beschwerte sie sich anstatt einer Begrüßung.
An Kobo prallte der Vorwurf einfach ab. »Hatte halt noch viel zu tun«, gab er unbekümmert zurück.
»Jaja, ich weiß, der Highscore.« Suna grinste. »Aber ich hoffe, du hast auch ein bisschen was gearbeitet für dein Geld. Hat es sich wenigstens gelohnt?«
»Ich denke schon«, meinte Kobo mit deutlicher Zufriedenheit in der Stimme. »Also, zuerst mal zu dieser Carolin Becker. Soweit ich das von hier beurteilen kann, stimmen zumindest der Name und das Geburtsdatum, das du mir gegeben hast. Aber die junge Dame hat doch schon einiges erlebt, wenn ich das so sagen darf.«
Suna verdrehte die Augen. »Könntest du dich eventuell ein wenig konkreter ausdrücken?«
»Kann ich. Also, mit vierzehn ist sie zum ersten Mal von zuhause abgehauen, dann noch drei Mal in den nächsten eineinhalb Jahren. Ich nehme an, ihre familiären Verhältnisse waren nicht gerade berauschend, denn mit sechzehn hat sie dann wohl endgültig auf der Straße gelebt. Es gab zwei Verurteilungen wegen Drogenbesitz und eine sogar wegen illegaler Prostitution, aber da war sie dann schon volljährig. Außerdem hatte sie zwischendurch immer mal wieder wegen ein paar kleinerer Diebstähle Ärger mit der Polizei.«
»Irgendetwas in der letzten Zeit?«, erkundigte sich Suna interessiert.
»Das ist das eigentlich Erstaunliche an der Geschichte. Anscheinend hat sie doch irgendwann die Kurve gekriegt. Jedenfalls habe ich in den letzten drei Jahren nichts gefunden, und damit meine ich wirklich überhaupt
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