Sturmflut: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
Achseln. »Fenja war sich ganz sicher, dass es Marks Stimme war, die sie gehört hat, deshalb glaube ich nicht, dass jemand sie nur imitiert hat. Theoretisch kann es also jeder gewesen sein, der Marks Stimme irgendwo aufgezeichnet hat, auf einer Mailbox oder einem Anrufbeantworter. Man braucht ja wirklich kein Technikfreak zu sein, um sich daraus einen passenden Satz zusammenzubasteln. Aber ich hoffe, dass ein Freund von mir bald herausfindet, von welchem Anschluss der Anruf gekommen ist. Dann sind wir schlauer.«
Sie trank einen Schluck Wein und sah sich noch einmal im Fährhaus um. Jetzt in der Nebensaison war in dem Restaurant nicht viel los. Noch dazu war die Zeit für das Abendessen längst vorbei, sodass außer ihrem nur noch zwei Tische besetzt waren. Ihr war das ganz recht. Mit ihren ausgewaschenen Jeans, dem dicken Strickpullover und den Winterstiefeln fühlte sie sich in dem edlen Ambiente ziemlich unwohl, aber Daniel schien das völlig egal zu sein.
Oder er hat genug Anstand, mich nicht merken zu lassen, dass ihm mein Aufzug peinlich ist, dachte Suna und lächelte ihn kurz an.
»Hast du eigentlich von dem anderen Privatdetektiv, diesem Lobinski, noch etwas Neues über Sébastien erfahren?«, erkundigte sie sich.
Daniel schüttelte den Kopf. »Nicht direkt. Ich habe vorhin mit ihm telefoniert, und dabei hat er mir erzählt, dass er morgen ganz früh nach Westerland fahren will, um noch einige Nachforschungen anzustellen. Er ist wohl irgendetwas auf der Spur, wollte aber noch nichts Konkretes sagen, solange er keine Beweise hat.«
»Spricht eigentlich für eine seriöse Arbeitsweise.« Suna grinste. »Ganz im Gegensatz zu diesem Gramser. Der scheint ja nur hinter dem schnellen Geld hinterher zu sein. Ich hoffe wirklich, dass der Kerl irgendwann dafür verknackt wird.«
»Ich auch«, stimmte Daniel ihr grimmig zu. »Viel wichtiger wäre es mir allerdings, dass Fenja sich erinnert, woher sie meinen Bruder kennt. Das wäre endlich ein Ansatzpunkt, mit dem wir vielleicht auf die richtige Spur kommen könnten.«
»Darauf würde ich nicht unbedingt setzen«, wandte Suna ein. »Ich habe einiges über dieses posttraumatische Belastungssyndrom gelesen, und dass Fenjas Erinnerung an den Abend vollständig zurückkommt, ist wohl ziemlich unwahrscheinlich. Trotzdem bin ich mir inzwischen beinahe sicher, dass wir uns von der Theorie der Staatsanwaltschaft, Mark hätte Fenja vergewaltigen wollen, endgültig verabschieden können. Hinter der Sache scheint mir einfach sehr viel mehr zu stecken.«
Daniel schwenkte nachdenklich sein Weinglas hin und her. »Meinst du, es könnte noch jemand an dem Abend dabei gewesen sein? Jemand, der mit Marks Tod zu tun haben könnte? Mein Bruder vielleicht?«
»Ehrlich gesagt würde ich es nicht ausschließen wollen, dass noch jemand beteiligt war. Die Tür zum Hynsteblom war ja offen, genauso wie die zu Fenjas Wohnung. Theoretisch hätte also jeder reinkommen können. Bei dem vielen Blut und den ganzen Fußabdrücken könnte ich mir gut vorstellen, dass im Nachhinein keine Spuren mehr gefunden worden wären, auch wenn noch ein Dritter anwesend war. Vor allem, weil die Situation ja klar gewesen zu sein schien und man deshalb nicht besonders gründlich gesucht hat. Aber was das alles mit deinem Bruder zu tun hat, da habe ich nicht einmal ansatzweise eine Ahnung. Ich hoffe wirklich für dich, dass er noch am Leben ist und du ihn bald findest.«
»Ja, das hoffe ich auch.« Daniel senkte traurig den Blick und schwieg eine Weile. »Hast du eigentlich Geschwister?«, fragte er Suna unvermittelt.
»Einen kleinen Bruder, Tjaard.« Suna lachte kurz auf. »Er ist ein Jahr jünger als ich und macht nichts als Ärger. Aber ich glaube, die Geschichte erzähle ich dir ein anderes Mal, die ist abendfüllend.« Als sie weitersprach, klang sie plötzlich traurig. »Und ich hatte mal eine große Schwester. Rieke war drei Jahre älter als ich. So richtig kennengelernt habe ich sie aber nicht. Sie starb bei einem Autounfall zusammen mit meiner Mutter, als ich neun war.«
Daniel sah sie bestürzt an. »Das tut mir leid. Ich wollte bestimmt keine alten Wunden aufreißen.«
»Schon gut.« Suna lächelte ihn an. »Das ist alles schon sehr lange her. Aber vielleicht verstehe ich dich dadurch etwas besser als andere.«
Daniel gab der Kellnerin einen kurzen Wink, ihnen noch eine Flasche Wein zu bringen, dann nickte er bedrückt. »Es gibt da eine Sache, die mich ziemlich fertigmacht, seitdem mein Bruder
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