Sturmflut: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
wirklich, der Laden könnte überschwemmt werden?«, erkundigte sie sich stirnrunzelnd.
»Man weiß nie«, unkte Fenja. Dann lachte sie. »Ich denke nicht, dass wir in der Nordsee absaufen, aber der Regen und der Sturm machen mir schon ein bisschen Angst. Vor zwei Jahren hat mir der Sturm mal das Schaufenster eingedrückt, und alles ist nass geregnet. Die Hälfte der Sachen konnte ich hinterher wegschmeißen. Ich habe zwar eine Versicherung, aber die übernimmt nicht alle Schäden. Wenn mir das noch mal passiert, bin ich erledigt.«
Suna grinste. »Dann sollten wir uns wohl lieber beeilen.«
Während sie Schmuckstücke, Bücher, Skulpturen und Bilder einwickelte und in Kartons verpackte, warf sie immer wieder einen Blick auf ihr Handy. Erstaunlicherweise blieb alles ruhig. Kristian schien anderweitig beschäftigt zu sein.
Fenja war gerade nach oben in ihre Wohnung gegangen, als jemand plötzlich heftig gegen die Tür des Hynsteblom hämmerte. Suna erkannte Daniel, der draußen im inzwischen strömenden Regen stand. Schnell nahm sie den Schlüssel vom Tresen und ließ ihn herein. Eine kalte Windböe fegte herein und brachte das Zeitungspapier, in das sie die Verkaufsware verpackt hatte, zum Flattern. Suna hatte Mühe, die Tür wieder zuzudrücken.
»Was für ein Wetter«, knurrte Daniel, während er seinen Mantel auszog und eine Pfütze Regenwasser auf dem Fliesenboden hinterließ. »Bei uns in den Bergen gibt es ja auch oft heftige Unwetter, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt.«
»Hallo Daniel.« Fenja kam mit einem neuen Stapel leerer Kartons die Treppe hinunter. »Du willst doch nicht etwa helfen, meine Ware in Sicherheit zu bringen?«
Daniel verzog sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. »Naja, eigentlich bin ich hergekommen, um euch zu fragen, ob ihr etwas von Lobinski gehört habt. Aber wenn ihr Hilfe braucht, könnt ihr mich dafür selbstverständlich auch einspannen.« Unaufgefordert begann er, handbemalte Tassen und Teller in Papier zu wickeln und vorsichtig in einen Karton zu stapeln.
»Heißt das, du hast ihn immer noch nicht erreicht?« Suna biss sich besorgt auf die Unterlippe. Als Daniel den Kopf schüttelte, hielt sie mit ihrer Arbeit inne. »Das gefällt mir überhaupt nicht. Von Carolin gibt es bisher auch noch kein Lebenszeichen. Es kann doch kein Zufall sein, dass am gleichen Ort zwei Menschen innerhalb von ein paar Stunden spurlos verschwinden.«
»Nun, wenn die beiden noch auf der Insel sind, kommen sie in der nächsten Zeit auch nicht weg«, ergriff Fenja das Wort. »Als ich gerade eben oben in der Wohnung war, habe ich im Radio gehört, dass der Betrieb des Sylt-Shuttle für heute eingestellt worden ist. Und die Fähren fahren auch nicht mehr.« Sie lächelte gequält. »Das bedeutet natürlich auch für euch, dass ihr hier erst mal festsitzt. Wenn ihr heute doch noch aufs Festland wollt, bleibt nur zu Fuß gehen oder schwimmen.«
*
Carolin kauerte mit dem Rücken an die Wand gelehnt in ihrem Verlies, die Arme eng um sich geschlungen und den Kopf auf die Knie gelehnt. Ihre Zähne klapperten vor Kälte.
Zwischendurch war sie immer wieder aufgestanden, um auf der Stelle zu laufen und sich auf diese Weise warm zu halten. Aber jetzt fehlte ihr dafür die Kraft.
Außerdem quälte sie der Durst. Sie erinnerte sich an die Pfütze auf dem Boden, in die sie am Anfang ihrer Gefangenschaft getreten war. Irgendwann würde sie vielleicht hinkriechen und das Wasser aufschlürfen, um nicht zu verdursten, aber soweit war sie noch lange nicht. Sie hatte keine Ahnung, was in dem fauligen Wasser alles enthalten war, und außerdem befand sich die Pfütze ganz in der Nähe der Stelle, an der die Leiche lag. Vielleicht lag sie sogar teilweise darin . Sie presste sich noch etwas enger an die Wand und zwang sich, an etwas anderes zu denken.
Sie lauschte auf das immer wiederkehrende Geräusch des Meeres. Es hatte etwas Tröstliches, aber irgendwie auch etwas Bedrohliches an sich. Täuschte sie sich oder war es tatsächlich lauter geworden? Sie schüttelte den Kopf. Bestimmt spielten ihr ihre Sinne nur einen Streich.
Sie dachte an Fenja, die einzige wirkliche Freundin, die sie jemals gehabt hatte. Sicher, sie kannte eine Menge Leute in Berlin, aber zu denen hatte sie den Kontakt längst abgebrochen. Mit ihrem alten Leben wollte sie nichts mehr zu tun haben. Und von den Leuten, die sie auf Sylt kennengelernt hatte, würde sie nur Fenja als Freundin bezeichnen. Die anderen waren allenfalls gute
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