Sturmflut: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
bekommen würde, tastete sie sich weiter vor. Als sie Haare fühlte und darüber eine kalte, klebrige Masse, schrie sie schrill auf. Mit einer ruckartigen Bewegung wich sie von dem toten Körper zurück.
Der arme Kerl vor ihr würde nie wieder etwas sagen. Jemand hatte ihm den Schädel eingeschlagen.
Carolin kauerte sich wieder an die Wand, schlang die Arme um die angezogenen Knie und begann hemmungslos zu schluchzen.
Inzwischen war ihr klar geworden, dass sie ihr Gefängnis niemals lebend verlassen würde.
*
Der Sturm wurde immer stärker. Suna drehte sich mit dem Rücken gegen die beißenden Windböen und schirmte ihr Gesicht mit dem Arm ab, während sie gegen die Tür des Hynsteblom klopfte.
»Da bist du ja.« Fenja schloss Suna die Tür des Ladens auf und ließ sie eintreten. Anschließend drehte sie den Schlüssel wieder herum.
Suna sah sie verwundert an. »Ich dachte, du wolltest heute öffnen?«
Normalerweise war das Hynsteblom in der Nebensaison sonntags geschlossen, doch wegen des Biikebrennens, das in der folgenden Woche stattfinden sollte und immer viele Touristen nach Sylt lockte, hatte Fenja vorgehabt, eine Ausnahme zu machen. Nach dem langen Ausfall brauchte sie die Einnahmen dringend.
»Das hat heute sowieso keinen Sinn.« Fenja machte eine wegwerfende Handbewegung. »Bei dem Wetter wird sich kaum ein Kunde in den Laden verirren. Hast du es noch nicht gehört? Für heute gibt es eine schwere Sturmflutwarnung. Es kommt andauernd im Radio.«
Suna schüttelte den Kopf. »Ich war bisher vollkommen damit beschäftigt, Kristians Handy-Aktivitäten zu verfolgen. Der Typ scheint nichts Besseres zu tun zu haben, als die ganze Zeit zu telefonieren, zu chatten und zu surfen. Erst vor ein paar Minuten hat er endlich eine Pause eingelegt. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, ist er gerade für einen Auftrag auf dem Festland, irgendwo in der Nähe von Flensburg.« Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Ich nehme an, du hast weder gestern Abend noch heute Morgen einen Anruf mit Marks Stimme bekommen?«
»Da hast du recht. Aber ehrlich gesagt wäre es mir auch ziemlich egal gewesen.« Fenja zuckte die Achseln. »Seitdem ich weiß, dass Kristian dahintersteckt, machte es mich gar nicht mehr so fertig. Schlimm war eigentlich nur der erste Schock. Außerdem habe ich im Moment andere Sorgen.«
»Du meinst Carolin? Hast du immer noch nichts von ihr gehört?«
»Nein, leider nicht«, gab Fenja bedrückt zurück. »Ich habe gestern Abend noch alle Freunde und Bekannten verrückt gemacht und jedem eingebläut, dass er mir sofort Bescheid sagen soll, wenn er sie sieht oder mit ihr telefoniert, aber absolut erfolglos. Keiner weiß etwas, keiner hat etwas von ihr gehört. Deshalb habe ich überlegt, ob ich nicht doch besser zur Polizei gehen und sie als vermisst melden sollte.«
Suna verzog skeptisch das Gesicht. Carolin war volljährig und konnte gehen, wohin sie wollte. Solange es keinen Hinweis darauf gab, dass ihr etwas zugestoßen war, würde die Polizei kaum etwas unternehmen, um sie aufzuspüren. Fenjas Überzeugung, dass ihre Freundin sonst immer zuverlässig in den Laden gekommen war, reichte da nicht aus. Erst recht nicht, wenn man Carolins Vorstrafenregister in die Überlegung miteinbezog, dachte Suna missmutig. Aber das würde sie Fenja so natürlich nicht sagen.
»Ich denke, die Polizei wird momentan völlig mit der Sturmflut beschäftigt sein. Ich glaube nicht, dass sie sich da um Vermisste kümmern. Zumindest nicht um welche, die bereits erwachsen sind«, meinte sie stattdessen ausweichend.
Fenja nickte bekümmert. »Ja, das fürchte ich auch. Ich würde es dir übrigens nicht übel nehmen, wenn du dich lieber bis morgen oder übermorgen aufs Festland verziehst. Noch fährt der Shuttle.«
»Du meinst, es wird so schlimm?«
Fenja lachte über Sunas erschrecktes Gesicht. »Naja, gemütlich wird es bestimmt nicht, auch wenn ich nicht glaube, dass ganz Sylt absaufen wird.«
Einen Moment zögerte Suna, doch dann schüttelte sie entschlossen den Kopf. »Nein, ist schon okay, ich bleibe hier.« Ihr Blick fiel auf einige Umzugskartons, die auseinandergefaltet an der Wand neben der Treppe lehnten. »Brauchst du noch Hilfe bei den Vorbereitungen?«
»Unbedingt.« Fenja zog eine Grimasse. »Das ganze Zeug muss nach oben in meine Wohnung. Zuerst natürlich die empfindlichen und besonders wertvollen Sachen.
»Okay.« Suna schnappte sich einen der Kartons und begann ihn zu falten. »Glaubst du
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