Sturmflut: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
verabschiedet und waren in die umliegenden Restaurants geströmt, um ihre reservierten Plätze beim Grünkohlessen nicht zu verlieren. Aber der hohe Holzpfahl mit dem Fass an der Spitze, der in der Mitte des Feuers stand, hielt noch. Erst wenn er soweit heruntergebrannt war, dass das Fass in die Flammen stürzte, verließ man der Tradition nach das Fest.
»Letztes Jahr war ich noch mit Carolin, Kristian und Mark hier«, sagte Fenja, die mit einem Becher heißen Tees neben Suna stand, nachdenklich. »Das war ein richtig lustiger Abend. Und jetzt ...«
Sie vollendete den Satz nicht.
Suna sah sie voller Mitgefühl an. »Es tut mir so leid«, begann sie, aber Fenja ließ sie gar nicht ausreden.
»Nein, nein. Ist schon gut. Ich bin ja froh, dass sich jetzt alles aufgeklärt hat. Und ehrlich gesagt bin ich auch erleichtert, dass nicht ich Mark die Schere in den Hals gestoßen habe.«
Suna nickte, während sie an ihrem Tee nippte.
Nachdem Kristian noch in Niebüll beim Warten auf den Sylt-Shuttle verhaftet worden war, hatte es nicht lange gedauert, bis er ein umfassendes Geständnis abgelegt hatte. Er schien beinahe erleichtert gewesen zu sein, dass er sich endlich alles von der Seele reden konnte.
Wie Suna schon vermutet hatte, war er ein Komplize von Gramser bei dessen Betrügereien gewesen. Der Privatdetektiv hatte sich Eltern herausgesucht, die verzweifelt nach ihren schon länger vermissten Kindern suchten. Seine Masche war dabei immer dieselbe gewesen: Mithilfe einer Morphing-Software, mit der man Menschen auf Fotos altern lassen konnte, hatte er durch Kristian Bilder von den Kindern erstellen lassen, wie sie jetzt aussehen müssten. Diese hatte der Fotograf in Fotos montiert, die Gramser von anderen Jugendlichen gemacht hatte, vorzugsweise von Rucksacktouristen. Natürlich hatte er dabei peinlich genau auf sämtliche Details wie gleiche Belichtung, Auflösung, den richtigen Beleuchtungswinkel und exakten Schattenwurf geachtet. Seinen hervorragenden Fähigkeiten als Fotograf hatten sie es zu verdanken gehabt, dass die Fälschungen kaum als solche zu erkennen gewesen waren. Mit diesen vermeintlich aktuellen Fotos hatte Gramser die Eltern aufgesucht und ihnen den Auftrag abgeschwatzt, nach den Kindern zu suchen. Er hatte ihnen horrende Stundensätze und ausufernde Spesen in Rechnung gestellt, ohne dabei jemals einen Finger zu rühren.
An dem Abend, als Mark umgekommen war, war Kristian gerade wie so oft bei Fenja gewesen. Sie waren nur für ein paar Minuten nach oben in ihre Wohnung gegangen, um das aktuelle Kinoprogramm im Internet abzurufen, als eine der Internet-Anzeigen eingeblendet worden war, mit der Daniel nach seinem Bruder gesucht hatte. Fenja hatte sich daran erinnert, dasselbe Gesicht kurz zuvor gesehen zu haben, als Kristian es in seinem Geschäft auf dem Computer bearbeitet hatte, und wollte sofort die Eltern des Jungen oder die Polizei verständigen.
Kristian hatte ausgesagt, dass er in diesem Moment solche Panik bekommen hatte, dass er Fenja gewürgt hatte. Mark, mit dem sie an diesem Abend ins Kino gehen wollte, war dazugekommen und hatte ihn zurückgerissen. In seinem Schreck hatte Kristian nach der Schere gegriffen und sie Mark in den Hals gestoßen. Dann war er geflüchtet, ohne sich weiter um die verstörte Fenja oder den verblutenden Mark zu kümmern.
Als Fenja ihm hatte helfen wollen, hatte Mark sie offensichtlich in seiner Verzweiflung gekratzt. Diese Hautspuren unter seinen Fingernägeln hatten die Staatsanwaltschaft schließlich davon überzeugt, dass Mark derjenige gewesen war, der Fenja gewürgt hatte.
»Dass Kristian auf Mark eingestochen hat, ist wohl eher im Affekt passiert«, sinnierte Fenja, die Sunas Gedanken zu erraten haben schien. »Ich glaube nicht, dass er ihn töten wollte. Genauso wenig wie er vorhatte, mich wirklich umbringen. Aber dass er mitgeholfen hat, die Verzweiflung der Eltern dieser vermissten Kinder so schamlos auszunutzen, das werde ich ihm nie verzeihen.«
»Und dass er dich mit diesen Anrufen terrorisiert hat, damit dein Zustand sich bloß nicht verbessert und du dich auf keinen Fall an irgendetwas erinnerst«, fügte Suna düster hinzu.
Fenja nickte. »Für Mark tut es mir besonders leid. Er hat mir geholfen, mir sogar das Leben gerettet und musste deswegen sterben. Und dann hat man ihn sogar noch als Vergewaltiger hingestellt. Ich bin froh, dass er jetzt zumindest rehabilitiert worden ist, auch wenn ihm das ja nichts mehr nützt.«
Sie wurden von einer
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